Kanonenfutter

Künftig sollen sich StreifenpolizistInnen als „First Responder“ mit militärisch ausgebildeten TerroristInnen messen. Die entsprechende Ausbildung fehlt ihnen allerdings.

Ein Streifenpolizist trägt das Sturmgewehr Steyr AUG A3. Bild: © BMI/Alexander Tuma

Marc Roth klatscht die Hände zusammen bevor er beginnt. Roth ist gerichtlich beeidigter Sachverständiger für militärische und polizeiliche Schusswaffen – und Prokurist des deutschen Waffenherstellers Heckler & Koch. Beim Europäischen Polizeikongress in Berlin Anfang 2016 referiert er über die Gefahren des internationalen Terrorismus. Und dass seiner Meinung nach die Polizei auch reguläre Streifen militärisch ausrüsten sollte. Wie praktisch, beim Produktstand der Firma kann das Publikum die Sturmgewehre gleich in die Hand nehmen. Auch eine Abordnung des österreichischen Innenministeriums.

Strategiewechsel

Zufall oder nicht, zum Jahresende 2017 kündigte Innenministerium Wolfgang Sobotka (ÖVP) einen Strategiewechsel an. Künftig sollen auch gewöhnliche StreifenpolizistInnen den Kampf mit TerroristInnen aufnehmen. Ob im Fall von Exekutionskommandos wie in Paris oder LKW-Angriffen wie in Nizza – AngreiferInnen sollen so schnell wie möglich erschossen werden, noch bevor zahlreiche zivile Todesopfer zu beklagen sind. Doch der erhoffte Sicherheitsgewinn könnte sich als Schuss ins Ofenrohr erweisen.

Bislang sicherte die erste eintreffende Polizeistreife lediglich den Tatort und wartete dann auf Spezialeinheiten wie WEGA und Cobra. Gerade in der Großstadt sind diese ohnehin in wenigen Minuten vor Ort. Seit kurzem hat nun jeder Wiener Streifenwagen die Ausrüstung von KombattantInnen an Bord: ballistische Helme, Splitterschutzwesten und ein Sturmgewehr vom Typ Steyr AUG 3A. Was beim Kräftemessen mit einem militärisch geschulten Terrorkommando jedoch fehlt, ist die Kleinigkeit der erforderlichen Ausbildung und Schulung.

Kräftemessen

Schon bald könnte ein Streifenwagen auf ein Terrorkommando treffen und eine/r der PolizistInnen das Sturmgewehr aus dem Tresor im Kofferraum holen. Bei einem „Pariser Szenario“ wäre der/die Schützin nicht nur personell in der Unterzahl und schlechter ausgebildet, das Steyr-Gewehr hätte außerdem nicht die Feuerkraft der Kalaschnikows – der bevorzugten Waffe von TerroristInnen. ((Auf diesem Amateurvideo ist zu sehen, wie das Terrorkommando Paris 1 auf einen Streifenwagen trifft. https://www.youtube.com/watch?v=oODuTiw1tYE )) Im besten Fall könnte er/sie die Übermacht ein paar Minuten räumlich binden. (Gegen LKW-Angriffe gelten ohnehin Poller als die verlässlichere Variante.)

Dem steht ein nicht unerhebliches Risiko für Polizeibedienstete sowie Unbeteiligte gegenüber. Im schlimmsten Fall kann so ein überhasteter Waffengang die Zahl der Todesopfer noch erhöhen. Eine Vergleichsstudie zwischen Norwegen und Schweden illustriert das. ((Johannes Knutsson & Jon Strippe (2003) Police use of firearms in Norway and Sweden: The significance of gun availability, Policing and Society, 13:4, 429-439, DOI: 10.1080/1043946032000105381)) Norwegische Polizeieinsätze gegen Bewaffnete enden für alle Beteiligten signifikant glimpflicher. Da norwegische Polizisten keine Waffe bei sich tragen, greifen sie häufiger zu gelinderen Taktiken. Kommen Schusswaffen zum Einsatz, dann besser vorbereitet und mit überlegener Feuerkraft. Im deutschen Nordrhein-Westfalen haben die PersonalvertreterInnen ähnliche Pläne des Innenministers daher auch als „lebensbedrohlich“ kritisiert.

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