Ho-Ruck-Polizei

Die Anschaffung von stichfesten Westen für die Polizei ist schief gelaufen. Die Aufmachung der Beamten*innen erinnert zunehmend an Rausschmeisser aus dem Rockermillieu. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte.

Links und in der Mitte Beamt*innen in Unterleibchen und Stichweste. Zum Vergleich: Rechts zwei Beamte*innen im Kurzarmhemd. Bild: privat

Wie kann man mit gedankenlosem Sicherheitsaktionismus die Polizei beschädigen? Geben Sie viel Geld für Schutzwesten aus, ohne vorher sorgfältig den Bedarf zu klären. Lassen Sie sie sich nicht beirren, wenn die Organe der Republik nachher wie Türsteher aussehen. Und das verunglückte Image womöglich den falschen Nachwuchs anlockt.

Polizeigewerkschaften forderten sie schon lange: so genannte „ballistische Gilets“, die vor Messerstichen schützen und sogar Schüsse hemmen. Mit einer halben Sicherheitsmilliarde im Börsl unterfertigte Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) im Jahr 2016 die Anschaffung von 24.000 Westen. Das Produkt der Marke Sioen Ballistics kann sowohl unter als auch über der Kleidung getragen werden. Sie wird an die Körperform angepasst und kostet bis zu 800 Euro. In Wien ist das Tragen der Weste im Außendienst seit Oktober 2019 für alle Polizisten und Polizistinnen verpflichtend.

Untaugliche Entscheidungsgrundlage

Die mediale Ernte fuhr dann Sobotka’s Nachfolger Herbert Kickl (FPÖ) ein. Nicht bloß einmal posierte der Minister für eine Übergabe vor Fotograf*innen. Begründet hat das BMI die Anschaffung mit einer „Zunahme von Messerangriffen“ auf Beamt*innen. Auf Anfrage nach der Datenbasis verwies ein Sprecher aber lediglich auf die allgemeine Anzeigenstatistik. Ein Vorhalt dieses Mangels blieb unbeantwortet. Diese Statistik weist aber Polizist*innen nicht als eigene Kategorie aus und lässt derartige Rückschlüsse nicht zu. Eigentlich sollte man annehmen, dass eine so umfangreiche Anschaffung sorgfältig abgewogen und handfest begründet wird.

Das war nicht die einzige Panne. Nach der Rekordhitze im Juni wurde klar, dass die Weste den Tragekomfort der Uniform nicht steigert. Die Zwei-Kilo-Haut entpuppte sich als Wärmespender. Noch dazu unterbindet das Gilet das Entweichen von Schweiß. Für die Gewerkschaften wandelte sich das heiß ersehnte Gadget plötzlich in eine „Zumutung“. An warmen Tagen sei das Uniformhemd binnen Stunden unansehnlich. Von hygienischen und gesundheitlichen Fragen einmal abgesehen. In eilig einberufenen Verhandlungen vereinbarte die LPD Wien mit der Personalvertretung  eine Übergangslösung. Über den Sommer wurde den Polizist*innen kurzerhand zugestanden, das Uniformhemd wegzulassen und Dienst im Unterhemd zu versehen.

Verunglücktes Erscheinungsbild

Die Ärmel dieser hautengen Leibchen sind nicht sonderlich lang und betonen schön die Muskeln der Oberarme. Insbesondere dann, wenn die Polizist*innen mit den Händen am Kragen der Weste einhängen um die ermatteten Arme zu entspannen. Kein seltener Anblick diesen Sommer. Freilich mit einer leichten Anmutung von Rausschmeissern aus dem Rockermilieu.

Kleider machen Leute. Der neue Auftritt der Polizei hat Auswirkungen auf ihr Rollenbild. Zunächst einmal ändert sich die Selbstwahrnehmung der Polizist*innen. Die zweite Haut beeinträchtigt nicht nur Kognition und Beweglichkeit, sie beeinflusst auch Handlungsweisen und vergrößert den subjektiven Abstand zur Bevölkerung.

Die zunehmend robuste Adjustierung schafft unklare Rollenerwartungen und verzerrt das Berufsbild der Exekutive. Polizist*innen sollen für die Bevölkerung zugänglich und ansprechbar sein und dies auch ausstrahlen. Die Panzerung wirkt da nicht besonders einladend. Tatsächlich ist die Arbeit gewöhnlicher Polizist*innen zu 99 Prozent Kopfarbeit – denken, reden, schreiben. Kraftmeierei und Dominanzgehabe hat in Sondereinheiten ihre Berechtigung, aber im regulären Dienst ist sie eher kontraproduktiv. Was aber bedeutet es für die Personalentwicklung der Polizei, wenn Image und Berufsbild nicht übereinstimmen und sich die falschen Kandidat*innen angesprochen fühlen? Die Polizei findet schon jetzt kaum genug geeignete Bewerber*innen, wird aber allein in Wien  die nächsten fünf Jahre die Hälfte des Personalstandes neu besetzen.

Letztlich verheerend ist die implizite Botschaft des flächendeckenden Einsatzes: Polizist*innen können in diesem Land nicht mehr auf die Straße gehen ohne sich gegen Messer- und Schussattacken zu schützen.

Politische Verantwortung?

Möglicherweise ist es sinnvoll und geboten, Polizist*innen in Ballungsräumen mit ballistischen Gilets auszustatten. Doch nachvollziehbare Daten blieb das Innenministerium bislang schuldig. So muss man davon ausgehen, dass die Einführung mehr symbolischen Wert hat als echten Nutzen. Der Kollateralschaden ist erheblich. Die Aufmachung der Polizei erinnert zunehmend an ein Mashup aus Robocop und Bodybuilder. Das ist nicht der Auftritt gefestigter Rechtsdurchsetzung sondern der einer Ho-Ruck-Polizei – getrieben von Hardliner*innen, die uns glauben machen wollen, die Erhaltung von Sicherheit sei in erster Linie ein Wettrüsten zwischen Gut und Böse.

Auch wenn im Rückblick schwer zu klären sein wird, welcher Minister die Umsetzung vermurkst hat – ein*e künftige*r Innenminister*in mit Verantwortungsgefühl sollte rasch eine Evaluierung veranlassen, damit die Polizei aus der Nummer noch heraus kommt.

Anfrage nach dem Auskunftsgesetz zu den Ballistischen Gilets auf Fragdenstaat.at

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