Wo sind die Aufstände?

Laut DiePresse.com tragen sich die jüngsten Aufstände in der islamischen Welt zu. Eine unrichtige und problematische Verortung.

Edit: Die Presse.com hat reagiert und die betreffende Untertitelung mittlerweile geändert.

Screenshot: Aufstand in der islamischen Welt auf diepresse.com.
Screenshot: Aufstand in der islamischen Welt auf diepresse.com.

Während die meisten Medien von arabischer Welt sprechen, wenn sie sich auf die jüngsten Revolten beziehen, untertitelt die DiePresse.com eine entsprechende Google-Map mit „Aufstand in der islamischen Welt“. Ich halte das nicht nur für unrichtig, sondern auch für problematisch.

Zunächst einmal: warum ist die Bezeichnung meines Erachtens sowohl geographisch als auch in Bezug auf den Charakter der Aufstände falsch?

Welche Länder die islamische Welt geographisch genau umfasst, ist wahrscheinlich strittig. Aber ich denke man liegt nicht ganz daneben, wenn man – wie Wikipedia – jene Staaten dazu zählt, 1) in denen der Islam Mehrheitsreligion darstellt, oder 2) die Mitglied der islamischen Konferenz sind.

Wo gross ist die islamische Welt?

Vergleicht man die beiden Karten, so fällt auf: Die islamische Welt ist um vieles größer als von der Presse gezeigt. Sie umfasst neben Nordafrika und der Arabischen Halbinsel noch Zentralasien, West- und Zentralafrika, Südostasien und einige weitere Nationen. Hofft die Presse gar auf Revolutionen auch in diesen Gegenden? Oder warum wird nicht der Begriff der arabischen Welt verwendet, wie dies die meisten Medien tun? Bezeichnet doch dieser die betreffenden Staaten nahezu eins zu eins?

Staaten der islamischen Konferenz - Karte von Wikipedia
Staaten der islamischen Konferenz - Karte von Wikipedia

Man könnte einwenden, dass islamische Welt nicht den geographischen Raum bezeichnen soll, in der die Aufstände stattfinden, sondern ihre angeblich religiöse Triebfeder. Ich glaube aber, das Gegenteil liegt auf der Hand: das verbindende Anliegen der (auch religiösen) Aufständischen ist die Gegnerschaft zur jahrzehntelangen Unterdrückung und nicht ein religiöses Ziel. Das zeigen allein schon die weltlich orientierten Mittel- und Oberschicht-Jugendlichen vom Tahrir-Platz, die neben vielen anderen Bevölkerungsgruppen demonstrierten.

Selbstverständlich reklamieren nun TrittbrettfahrerInnen auf der ganzen Welt die Geschehnisse für sich. Selbst die salafistischen Gottesstaats-Kämpfer in den Bergen Tschetscheniens witterten zunächst Morgenluft. Doch als sie die weltliche Ausrichtung der Aufstände zur Kenntnis nehmen mussten, distanzierten sie sich auf ihren Propaganda-Websites genauso rasch wieder von den Revolutionären.

Kampf der Kulturen

Warum verwendet also DiePresse.com den hier unsachgemäßen Begriff der islamischen Welt? Ich befürchte, um an einen Diskussionsstrang anzuknüpfen, der einen „Kampf der Kulturen„, eine „islamische Gefahr“ beschwört und von Robert Misik in „Der arabische Frühling“ trefflich skizziert wurde:

Um Gottes Willen, aber wie gefährlich ist die Instabilität? Da wird doch eh nichts draus bei den Arabern! Die handeln sich wahrscheinlich jetzt nur eine Mullah-Diktatur ein! Waren doch eh kommod die säkularen Autokraten! [Robert Misik, Der arabische Frühling]

Diese demokratiefeindliche Position verbindet sich mit Interessen, die den Status Quo zu legitimieren versuchen: Europa und die USA sollen weiterhin mit Hilfe von korrupten Regimes billiges Öl aus dem Maghreb und Arabien pumpen. Militärhilfe für die MachthaberInnen ermöglicht diesen, jede Oppositionbewegung zu zerschlagen und die breite Bevölkerung von Wohlstand und Entwicklung fern zu halten. Dass sich dadurch zeitweise Gruppen mit anti-säkularer Agenda zur stärksten Opposition entwickelten, ist keine Überraschung. Das macht es für mich vom Standort eines entschiedenen Republikaner etwas verzwickter.

Ich leugne auch nicht die Unsicherheiten, die für Israel in konkrete Gefahren umschlagen könnten. Lange Wirren und Bürgerkrieg spülen nicht selten die radikalsten Gruppen nach oben. Dies alles ändert aber nichts an der zentralen Frage: Demokratie und Menschenrechte sind universelle Güter. Sie gelten für alle. Entweder man respektiert, dass jeder Mensch frei und gleich an Würde und Vernunft geboren ist, oder man respektiert es nicht. Bezeweifelt man es, sollte man uns heuchlerische Verweise darauf ersparen.

Bildcredit Screenshot „Aufstand in der islamischen Welt“ Copyright diepresse.com
Bildcredit „Staaten der islamischen Konferenz“: Diese Datei ist unter der Creative Commons-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Unported lizenziert. Urheber: St.Krekeler

2 Gedanken zu „Wo sind die Aufstände?“

  1. Diese Betrachtungen sind erstens sehr interessant und zweitens auch richtig, wir haben reagiert und die Definition angepasst.
    Günter Felbermayer
    CvD DiePresse.com

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