Wiener Polizei ignoriert Corona-Maßnahmen bei Demo

Trotz konkreter Hinweise hat sich die Wiener Polizei bei der Kundgebung letzten Samstag offenkundig nicht ausreichend auf massive Verstöße gegen die Covid-Auflagen vorbereitet.

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Auftaktkundgebung der Versammlung gegen Covid-Maßnahmen am 16. Jänner in Wien. Bild: cc-by-nc phs

In Zeiten der Covid-Pandemie gefährden Menschenmengen die öffentliche Gesundheit. Dennoch soll die Versammlungsfreiheit nur so weit eingeschränkt werden, als unbedingt erforderlich. Um Kundgebungen möglich zu machen, hat die Bundesregierung Auflagen beschlossen; das Abstandsgebot und die Maskenpflicht.

Daran wollen sich nicht alle halten. Letzten Samstag demonstrieren Tausende in der Wiener Innenstadt gegen die Covid-Maßnahmen. ((Nach Polizeiangaben mehr als 10.000, nach Angaben der Veranstalter*innen 50.000)) Kaum jemand trägt Mund-Nasen-Schutz und auch der Mindestabstand scheint kein Muss. Als die Kundgebung über den Ring zieht, ist an ein Durchsetzen der Gesundheitsauflagen nicht mehr zu denken.

Originally tweeted by Philipp Sonderegger (@phs) on 16. January 2021.

Was soll die Polizei tun, wenn sich Demonstrierende nicht an die Covid-Auflagen halten? Muss sie es einfach geschehen lassen, weil es das Recht auf Versammlungsfreiheit gibt? Darüber ist schon im Herbst 2020 eine Diskussion entbrannt.

Diskussion über Verstöße gegen Covid-Auflagen bei Versammlungen

Der Wiener Polizeipräsident hätte den Kelch gerne weiter gereicht. In einem öffentlichen Vorstoß wünscht Gerhard Pürstl eine Untersagung von gefährlichen Versammlungen durch die Gesundheitsbehörden. Doch die Verantwortung für die schwierige Abwägung liegt bei den Sicherheitsbehörden.

Das bekräftigt (pdf) auch der Menschenrechtsbeirat der Volksanwaltschaft in einer Stellungnahme. Und er hält weiter fest: „Den Sicherheitsbehörden stehen bei gesetzeswidrigen Vorgängen in einer Versammlung zahlreiche Maßnahmen und Taktiken zur Verfügung, bevor als ultima ratio eine Auflösung erwogen werden muss.“

Anfang Jänner fasst das Innenministerium (BMI) die gesetzliche Handhabe in einer Richtlinie zusammen. Die zuständige Landespolizeidirektion soll alle Informationen berücksichtigen, wenn sie die Gesetzmäßigkeit einer Versammlung prognostiziert. Werden erhebliche Verstöße erwartet, aber nicht im für eine Untersagung erforderlichen Ausmaß, so ist der Schlüssel für eine rechtskonforme Umsetzung die personelle Präsenz der Polizei. Konkret bedeutet dies laut Berichten über die Richtlinie:

  • Kontrolle des Zustroms zur Versammlung
  • Strikte Ahndung von Verwaltungsübertretungen
  • Falls nicht unmittelbar möglich, Dokumentation von Verstößen zur nachträglichen Ahndung

Chronologie der Untätigkeit

Die Richtlinie scheint nicht für die Wiener Polizei zu gelten. Zwar gibt die LPD Wien noch am Samstag Abend 242 Identitätsfeststellungen und 156 Anzeigen bekannt. Doch trotz konkreter Hinweise verabsäumt sie es, in der entscheidenden Phase des Beginns auf die Einhaltung der Gesundheitsauflagen ernsthaft hinzuwirken.

Die Exekutive zeigt keine Präsenz als sich die Kundgebung formiert, der Zustrom wird nicht auf Einhaltung der Maßnahmen kontrolliert und Verstöße werden nicht geahndet, als dies aufgrund der überschaubaren Größe noch ohne Eskalation möglich wäre. Teilnehmer*innen müssen den Eindruck gewinnen, weder Abstandsgebot noch Maskenpflicht seien der Wiener Polizei ein ernsthaftes Anliegen.

  • Um 11:00 Uhr sind ca. 50 Teilnehmer*innen über den Maria-Theresien-Platz verstreut. Masken tragen nur am Rande stehende Beobachter*innen. Die Polizei wird nicht aktiv. Drei Kleinbusse der Ordnungsdiensteinheiten (ODE) „Delphin“ stehen außer Sichtweite am Ring.
  • Um 12:15 Uhr begrüßt ein Redner die Anwesenden mit einem mobilen Lautsprecher vom Denkmal. Ca. 70 Personen scharren sich um den Redner. Erstmals wird gehäuft gegen das Abstandsgebot verstoßen. Die Polizei schreitet nicht ein. Der Einsatzleiter macht sich ein Bild von der Situation und zieht wieder ab. Weder der Sprecher, noch die Menge wird von der Polizei adressiert.
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  • 12:30 Uhr: Die Kundgebung startet von den Treppen des Naturhistorischen Museums mit Redner*innen. Menschen strömen zu. Einige hundert Personen sind lose über den Vorplatz verteilt, allerdings trägt kaum jemand Maske. Ca. 10 Ordner mit gelben Westen machen keine Anstalten auf den rechtmässigen Zustand zu dringen. Uniformierte Polizei, die auf Einhaltung der Maßnahmen achten könnte, ist nicht präsent.
  • 12:43 Uhr: Ca. ein dutzend Beamte*innen der ODE fahren mit Kleinbussen zu und nehmen links und rechts hinter der Bühne Aufstellung. Sie schreiten nicht ein.
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  • 12:59 Uhr: Erstmals teilt ein Sprecher „den Wunsch der Behörden“ nach Masken und Abstand mit. Die halbherzige Durchsage wird bis auf vereinzelte Buh-Rufe ignoriert. Eine Reaktion der Polizei ist nicht ersichtlich. Drei weitere Durchsagen folgen im Laufe der Veranstaltung.
  • 13:16 Uhr: Auch im linken hinteren Bereich steht eine Gruppe Ordnungsdiensteinheiten (6 Beamte*innen). Die Menschen können hier lose stehen, tragen aber überwiegend keine Masken. Die Beamten schreiten nicht dagegen ein.
  • 13:25 Uhr: Das Gedränge im vorderen Bereich nimmt zu. Der Mindestabstand wird kaum mehr eingehalten, fast niemand trägt Maske. Kein Einschreiten der Polizei.
  • 13:36 Uhr: Eine Rednerin ruft dazu auf, die Gesundheitsauflagen zu missachten. Unter Gejohle rücken die Demonstrant*innen weiter zusammen. Immer mehr Menschen strömen zu.
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  • 13:40 Uhr: Die Polizei reagiert. Die Einsatzleitung bittet einen Versammlungsleiter zur Seite und drängt auf rasche Sammlung der agitierten Menge am Ring, damit der Abstand einhalten werden könne.
  • Es dauert noch fast eine Stunde bis die Standkundgebung um 14:30 Uhr endet und sich die Teilnehmer*innen am Ring zum Marsch mit der zweiten Versammlung vom Heldenplatz vereinigt.
  • Die Menschen stehen dicht gedrängt und warten bis die Demo losmarschiert. Immer wieder gerät der Marsch ins Stocken. Eine Einhaltung des Abstandes ist jetzt im Zug kaum möglich. Aber das scheint hier ohnehin kaum jemand zu beabsichtigen.

Die Wiener Polizei hat die Richtlinie des BMI offensichtlich ignoriert. Sie war weder personell noch organisatorisch darauf vorbereitet, eine schwere Gefahr für das öffentliche Wohl abzuwenden. Der Einsatz soll jetzt immerhin evaluiert werden, auch im BMI sei man nicht glücklich, berichtet der Standard.

Wenn Polizei und Demonstranten auf die Gesundheitsauflagen pfeifen, erhöht dies nicht nur die Ansteckungsgefahr, es sinkt auch die allgemeine Bereitschaft, sich an die Auflagen zu halten. Und das Verständnis für die Versammlungsfreiheit wird auch nicht gerade steigen.

Ein frühzeitiges Einschreiten ist keine Garantie für ein rechtskonformes Verhalten aller Teilnehmer*innen. Doch das entbindet die Polizei nicht von der Pflicht, eine ernsthafte Bedrohung des öffentlichen Wohls abzuwenden, wo es mit verhältnismässigen Mitteln möglich ist.

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