Weg mit Integration

Was in den 70-er und 80-er Jahren ein wichtiges Konzept zur Herstellung von Chancengleichheit in Zuwanderungsgesellschaften darstellte, ist heute wertlos. Der Begriff Integration wurde in den letzten zehn Jahren komplett umgedeutet und unterscheidet sich in seiner extremsten Auslegung nicht mehr vom Begriff der Assimilation.

Wenn heute Zentrums-PolitikerInnen von Integration sprechen, dann geht es ihnen meist darum, dass sich die „Ausländer anpassen“ sollen. Der Integrations-Prozess, der vor ein paar Jahren angeblich noch ein „beidseitiger“ war, wird heute weitgehend nur noch als Verpflichtung der ZuwandererInnen verstanden. „Es muss mehr über Pflichten und weniger über Rechte gesprochen werden“, schärfte kürzlich eine Partei ihren Standpunkt.

„Sie“ statt „wir“

Dieser Integrations-Begriff ruft nach Sondergesetzen für ZuwandererInnen, wo Gleichberechtigung und Chancen für alle gefragt wären: Er behauptet, dass „sie“ gezwungen werden müssen, Deutsch zu lernen. Statt guter Ausbildungsmöglichkeiten für alle. Er stellt „ihren“ Willen zu arbeiten in Frage. Statt aktiver Arbeitsmarkpolitik für ausreichende Jobangebote. Er hält es für nötig, dass „sie“ dem Ehrenmord abschwören. Statt Maßnahmen gegen jedwede Gewalt von Männern gegen Frauen. Er will, dass „sie“ sich in „unsere“ Lebensweise einordnen. Statt einer offenen Gesellschaft mit Verwirklichungschancen individueller Lebensentwürfe.

Aus dem „Sie“ ergibt sich ein „Wir“, das in der Gegenüberstellung als kulturell einheitlich erscheint. Auch die inneren Interessenskonflikte des „Wirs“ verschwimmen durch die Polarisierung mit dem „Sie“: Wer am unteren Ende der sozialen Leiter steht, sollte eigentlich Interesse an einer Wohlfahrtspolitik haben, die Chancengleichheit für den sozialen Aufstieg herstellt. Dies kann wiederum jenen nicht recht sein, die dies eigentlich mit ihren bisher unter-besteuerten Vermögen finanzieren müssten. Doch in der Opposition zum „Sie“ ist man sich einig. Das haben einige Debatten des letzten Jahres gezeigt: Die „Ausländer-Kinder“ sind schuld an den schlechten Pisa-Ergebnissen, nicht der jahrelange Sparkurs im Schulbereich. Und auch die „ausländischen Langzeitarbeitslosen“ sind schuld an der hohen Arbeitslosigkeit, nicht das Fehlen einer aktiven Arbeitsmarkt-Politik.

Unglaubwürdige Demokratie

Die Welt hat sich verändert. Wo das Konzept der StaatsbürgerInnenschaft vor hundert Jahren ein taugliches Modell war, Rechte und Pflichten der EinwohnerInnen eines Flächenstaates zu verankern, erweist es sich im globalisierten Heute als undemokratisch. Rund zehn Prozent der EinwohnerInnen Österreichs haben keine StaatsbürgerInnenschaft und sind deshalb von zentralen Rechten und Chancen ausgeschlossen. Eine solche Demokratie ist nicht glaubwürdig und beschädigt sich selbst. Gleiche Rechte für alle sind die Voraussetzung für ein demokratisches Gemeinwesen, das nicht an seinem zentralen Versprechen zerbrechen soll. Chancen, die allen ermöglichen, ihren persönlichen Lebensentwurf unabhängig von sozialer und geografischer Herkunft zu verwirklichen, sind ein Motor persönlicher und gesellschaftlicher Entfaltung. Wir brauchen nicht Integration, wir brauchen gleiche Rechte und Chancengleichheit für alle. Das jüngste Beispiel der zwei hier geborenen Jugendlichen, die wegen Formfehlern in ein ihnen unbekanntes Land abgeschoben werden sollen, zeigt das deutlich.

Erstveröffentlichung: derStandard.at, 20.3.2007

3 Gedanken zu „Weg mit Integration“

  1. Ein sehr guter und treffender Text. Vor allem stimmt es mich traurig wenn ich am Ende auf das Veröffentlichungsdatum des Artikels schaue und bemerke, dass in der öffentlichen Integrationsdebatte diesbezüglich in den vergangenen zwei Jahren wenig bis keine Fortschritte (wenn nicht sogar Rückschritte) erzielt wurden. Anstatt dass Diversity, Rechte, Freiheit und Chancengleichheit Einzug in den öffentlichen Diskurs halten, hat sich der Trend der Interpretation von Integration in Richtung Assimilation – gerade in Wahlkampfzeiten aber auch in der Tagespolitik – verstärkt.

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