Mir erscheint es unwahrscheinlich, dass Betrug in Vietnam häufiger vorkommt, als in sozio-ökonomisch vergleichbaren Ländern. Gegen diese These sprechen allein schon die niedrigen Kriminalitätsraten. Vietnam gilt als sicheres Reiseland. Abgesehen von ein paar Hotspots in den großen Städten gibt es kaum Kleinkriminalität.
Tourist’innen-Steuer
Mir sind drei mögliche Gründe aufgefallen, warum sich Westler’innen ausgenutzt fühlen. Erstens: Tourist’innen bezahlen mehr. Wo die Preise nicht ausgeschildert sind, wie in Supermärkten oder besseren Restaurants, zahlen ausländische Personen einen Aufschlag, der bei kleineren Summen schon mal das zehnfache betragen kann. Dieser Rassismus richtet sich auch gegen asiatische Tourist’innen, aber ich habe den Eindruck, Westler’innen können besonders schlecht damit umgehen.
Schlecht im Verhandeln
Zweitens: Viele Preise sind Verhandlungssache. Das sind Westler’innen nicht gewohnt (Nein heißt nicht nein) und in aller Regel sind sie nicht gut darin. An den zusätzlichen Zeit- und Kommunikationsaufwand, den erfolgreiche Verhandlungen mit sich bringen, gewöhnt man sich. Aber der ethische Zwiespalt, ob man einen angemessenen Preis nicht auch an den eigenen Möglichkeiten orientieren sollte bleibt. Muss ich den Kaffee tatsächlich noch um 50 Prozent bzw 30 Cent herunter handeln, nur damit ich nicht viel mehr zahle, als die Einheimischen? Schließlich ist mein Einkommen um ein Hundertfaches höher.
Freundschaft oder Geschäft?
Drittens: Vietnames’innen kommunizieren auch in geschäftlichen Angelegenheiten auf sehr persönlicher Ebene. Mir scheint das Interesse meist gar nicht vorgetäuscht, doch nach europäischen Maßstäben ist es sehr irritierend, wenn eine freundschaftliche Plauderei plötzlich in ein Verkaufsgespräch umschlägt. Ich denke dieser Umstand trägt maßgeblich zur Enttäuschung von Westerler’innen bei, dass die „Vietnames’innen in Wirklichkeit nur mein Geld wollen“.
Wie in anderen Ländern mit hoher Armut durchdringen geschäftliche Anliegen den gesamten Alltag, da es schlicht um die Existenz geht. Was es hier so schwer macht, souverän damit umzugehen ist, dass im Vergleich zu anderen Ländern kaum aggressiv gepusht wird, sondern ein freundschaftlicher Kontakt hergestellt wird.