Verfassungsschutz: Kontrolle der demokratischen Spannweite

Gegen eine politische Schlagseite des Verfassungsschutzes hilft nur externe Kontrolle – inklusive der Frage, wo er überhaupt hinschaut. Denn wo der Nachrichtendienst die Grenzen des demokratischen Spektrums zieht, braucht maximale demokratische Legitimation. Eine kürzere Version des Beitrags erschien im neuen MO-Magazin für Menschenrechte.

Wie sieht eine wirksame parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes aus?
Die Spannweite des demokratischen Spektrums sollte nicht nur von einem Minister bestimmt werden. © Parlamentsdirektion / Johannes Zinner

Das BVT kommt nicht aus den Schlagzeilen. Noch bis zum Sommer soll eine Reform den Malversationen ein Ende setzen. Bereits auf Schiene sind eine kriteriengeleitete Personalauswahl und strengere Überprüfungen der Mitarbeiter*innen. Nun will die Regierung mit objektivierten Bestellungen und einem Politikverbot für Führungskräfte gegen Parteiwirtschaft vorbeugen.

Geplant ist außerdem die klarere Trennung des nachrichtendienstlichen vom staatspolizeilichen Arm, wenn auch unter einem Dach. Der eine zuständig für die Gefahrenerforschung, der andere für die Gefahrenabwehr. „Wer (fast) alles weiß, soll nicht viel dürfen und wer (fast) alles darf, soll nicht viel wissen“. So lautet die Losung in der Bundesrepublik, mit der die Macht der Dienste begrenzt werden soll.

?? Ob die Vorschläge fruchten, ist fraglich. Sicher ist: So lange Parteipolitik im Verfassungsschutz jenen Nährboden findet, der im BVT-Untersuchungsausschuss zu Tage trat, sind alle Bemühungen vergebens, den Dienst professionell aufzustellen. Mehr noch: eine politische Schlagseite hat gravierende demokratiepolitische Implikationen.

Kontrolle, aber wie?

Gegen allzu plumpen Politeinfluss hilft nur das Licht der Öffentlichkeit. Also mehr parlamentarische Kontrolle. Und will man ernsthaft gegen die Gefahr einer politischen Schlagseite vorgehen, muss die Aufsicht ein Input-Output-Mandat erhalten.

Das heißt, sie kontrolliert einerseits die Qualität der Arbeit, also ob das Amt wirksam, ethisch angemessen und rechtmäßig vorgeht. Andererseits dürfen aber auch die Arbeitsgrundlagen nicht außer Acht gelassen werden. Umfassende Kontrolle nimmt sich daher genauso der Frage an, um welche Phänomene sich der Verfassungsschutz überhaupt kümmert. Also wie viel Ressourcen in die Überwachung von zum Beispiel Tierrechtsaktivist*innen gehen und wie viel in die von Syrienrückkehrer*innen.

Diese politische Input-Steuerung ist insbesondere beim Nachrichtendienst unerlässlich. Denn es droht nicht nur Postenschacher, es geht um die Grenzen der Meinungsfreiheit. Es geht um die Systemgrenze zwischen zulässigen und unzulässigen politischen Positionen. Wer ist Extremist*in und wer nicht?

Definitionsmacht über Grenzen des demokratischen Spektrums

Das Betätigungsfeld des polizeilichen Staatsschutzes ist durch Sicherheitspolizeigesetz und Strafgesetzbuch konkret festgelegt und er wird dabei durch die unabhängige Justiz kontrolliert (sieht man von der kritikwürdigen Ausgestaltung des kommissarischen Rechtsschutzes in Form des Rechtsschutzbeauftragten ab).

Der Nachrichtendienst hat hingegen mit der erweiterten Gefahrenforschung praktisch freie Hand, wo er hinschaut. Und übt dabei beträchtliche Definitionsmacht über die Spannweite des demokratischen Spektrums aus. Diese Festlegung braucht eine breitere demokratische Legitimation als bloß durch den Minister.

Idealer Weise wird diese Systemgrenze unter Einbeziehung des gesamten parlamentarischen Spektrums gezogen. Weshalb die Gesetzgebung in vielen Ländern involviert ist – und sei es über die Zustimmung zu Programm-Etats.

Ausgleich zwischen Kontrolle und Geheimhaltung

Parlamentarische Kontrollgremien bringen aber ein spezifisches Problem im Umgang mit klassifizierten Informationen des Nachrichtendienstes mit sich. Die Funktionslogik des Parlaments strebt zur größtmöglichen Transparenz. Es ist die Aufgabe insbesondere der Opposition, Verdachtslagen über Missstände in der Verwaltung mit dem Hebel der Öffentlichkeit zu problematisieren.

Die Sicherheitsbehörden hingegen trifft die Verantwortung des Informationsschutzes. Sie wollen Quellen und Informationen von Partnerdiensten schützen und sich auch taktisch nicht in die Karten blicken lassen.

Unabhängig davon, wie man die Anliegen gewichtet, es macht keinen Sinn das Spannungsfeld zu ignorieren. Gewählten Mandatar*innen wird das Hemd immer näher sein als der Rock. Soll es auch. Genauso verhält es sich aber mit der Exekutive. Diese wird realpolitisch Mittel und Wege finden, Informationen abzuschotten. Zum Nachteil demokratischer Kontrolle.

Einen Ausgleich können intermediäre Institutionen schaffen. In Deutschland kontrollieren die so genannten G-10-Kommissionen den rechtmässigen Einsatz von Überwachungsmaßnahmen. Sie sind mit Expert*innen und ehemaligen Abgeordneten besetzt. In Österreich ist die parlamentarische Bundesheerkommission ähnlich aufgesetzt. (( Wobei es hier jüngst zu einer Machtverschiebung zu aktiven Parlamentarier*innen kam. )) Wie effektiv eine Aufsicht ihre Arbeit tun kann, hängt daneben freilich auch davon ab, ob sie über ausreichend Befugnisse und Ressourcen verfügt.

Eine kürzere Version dieses Beitrags erschien als Polizeikolumne in Mo-Magazin für Menschenrechte von SOS Mitmensch.

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