Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) befasste sich im Oktober 2022 mit Ethnic Profiling: Wenn eine Person dunkler Hautfarbe unter ansonsten weißen Personen als einzige einer Routine-Kontrolle unterzogen wird, dann besteht der Verdacht auf Ethnic Profiling, also rassistischer Diskriminierung. In so einem Fall ist der Staat verpflichtet, eine unabhängige Untersuchung des Vorfalles durchzuführen. Unterbleibt die wirksame Ermittlung, so verletzt der Staat das Recht auf Privat- und Familienleben sowie das auf Nichtdiskriminierung.1Basu gg Deutschland, Urteil vom 18.10.2022, Kammer III, 215/19 Deutsche Zusammenfassung des Österreichischen Instituts für Menschenrechte (ÖIM)
Praktische Unabhängigkeit erforderlich
Am 26. Juli 2012 reisten Biplab Basu und seine Tochter mit dem Zug von Prag nach Dresden. Polizisten kontrollierten den Deutschen indischer Herkunft. Die anderen, weißen Personen entgingen der Stichproben-Kontrolle. Die Polizei stellte einen Zusammenhang mit Basus Hautfarbe in Abrede. Basu beschwerte sich, doch eine Verhandlung wurde ihm von deutschen Gerichten verweigert. Erst der EGMR stellte fest, dass Biplab Basu in seinem Recht auf Privat- und Familienleben verletzt wurde. Denn die Polizei konnte keinen sachlichen Grund nennen, warum sie gerade ihn herausgegriffen hat. Der EGMR hält weiters fest, dass in einem solchen Fall eine unabhängige Ermittlung durchzuführen ist. Unabhängigkeit bedeute dabei nicht bloß das Fehlen hierarchischer und institutioneller Verbindung, sondern die „praktische“ also effektive Unabhängigkeit.
Zuständigkeit klar stellen
War da nicht was? Wurde nicht in Österreich gerade eine unabhängige Stelle zur Untersuchung von Polizeigewalt eingerichtet? Ja, beim Bundesamt für Korruptionsbekämpfung (BAK) wird eine Einheit zur Aufklärung von Polizeigewalt aufgebaut. Aber ihre Unabhängigkeit ist zweifelhaft und ihr Mandat ist im Wesentlichen auf Straftaten gegen Leib und Leben beschränkt. Eine Zuständigkeit für Ethnic Profiling wurde bislang nicht kommuniziert. Andererseits erfüllen andere Dienststellen die Voraussetzungen noch weniger. Offenbar hat der Gesetzgeber das EGMR-Urteil übersehen oder es einfach ignoriert. Gehen wir mal von guten Absichten aus. Dann wäre wohl am einfachsten, wenn die Zuständigkeit klar gestellt wird. Das spart Nerven, Gerichtskosten und Kopfschütteln.
Zuerst erschienen am 2. September 2023 in MO-Magazin für Menschenrechte von SOS Mitmensch. Kolumne: Philipp Sonderegger beobachtet die Staatsgewalt.
