Mit wem soll man (nicht) reden?

Soll man Antisemit/innen ausgrenzen oder mit ihnen reden? Es kommt darauf an. Ausführungen zur mangelnden Abgrenzung der Occupy-Bewegung nach rechtsaußen.

Wenn wir 99% Prozent sind, können wir uns dann ausreichend von Rechtsaussen abgrenzen? Bild: BY NC badlyricpolice

Gestern habe ich zwei Anrufe erhalten, weil ich von profil zur mangelnden Abgrenzung der österreichischen Occupy-Bewegung von Antisemitismus befragt wurde. Einer der Anrufe verlief sehr konstruktiv und ich nehme das Gespräch zum Ausgangspunkt meine Gedanken noch etwas auszuführen.

Für die Entwicklung einer lebhaften und starken Zivilgesellschaft sind geteilte Erfolgserlebnisse wichtig. Frustration über enttäuschende Erfahrungen wirkt deaktivierend. Ich sehe daher politische Gruppen und NGOs, denen Demokratie ein Anliegen ist, ein wenig in der Pflicht, sich in solche Bewegungen mit ihrer Erfahrung einzubringen und Schwierigkeiten abzuwenden. Ebenso wie die kritische Öffentlichkeit, die soziale Bewegungen solidarisch distanziert beobachten sollte.

Zivilgesellschaftliche Verantwortung

Meiner Beobachtung zufolge ist dies bei der Vorbereitung des internationalen Aktionstages am 15. Oktober nur sehr zögerlich geschehen. NGOs und politische Gruppen sind recht spät auf den Zug aufgesprungen und da war dieser bereits auf Schienen. Andere haben sich schon im Vorfeld abgewandt, weil sie befürchtet hatten, was später eingetreten ist: das Prinzip der Offenheit nach allen Seiten erwies sich als mangelnde Abgrenzung nach rechtsaußen und führte zum Andocken von Antidemokrat/innen und Antisemit/innen.

Höhepunkt einer längeren Serie von „Missverständnissen“ und fehlender Abgrenzung: bei der Wiener Kundgebung am 15. Oktober marschierten rechte Recken mit, die sich ansonsten im Küssel-Umfeld bewegen. Ein Kundgebungsteilnehmer dieser Gruppe hielt in Szene-Kleidung gehüllt ein gelbes Schild mit der Aufschrift: „Goldmann sucks“.

Mit allen Lagern Dialog führen

Nun wurde gegen die in profil publizierten Vorwürfe eingewandt, dass die Occupy-Bewegung nur dann „Zukunft hat, wenn wir mit allen Lagern in Dialog treten.“ Ich teile diese Aussage nicht, sie scheint mir sogar den Kern des Problems zu berühren.

Zwar ist es eine grundlegende Anforderung demokratischer Gemeinwesen, dass ihre Mitglieder nicht von Debatten ausgeschlossen werden, die zu verbindlichen Entscheidungen führen. Das Versprechen der Demokratie lautet, dass alle Rechtsunterworfenen den gleichberechtigten Zugang zur Erzeugung des Rechts haben müssen. Dies gilt allerdings nicht für freiwillige Zusammenschlüsse.

Auch eine soziale Bewegung will mobilisieren und wird dazu tendieren, durch Breite an Stärke zu gewinnen. Hiefür wird es in irgend einer Weise notwendig sein, in Kommunikation mit jenen zu treten, die es noch zu überzeugen gilt.

Forum oder Akteur/in?

In sozialen Bewegungen gibt es gute Erfahrungen mit folgendem Prinzip: Fragen, über die Dissens herrscht werden diskutiert; bei Fragen, über die Konsens herrscht, wird gemeinsam gehandelt. Diese Unterscheidung zwischen reden und handeln – Forum und Akteur/in – ist allerdings entscheidend. Denn eine Demonstration ist kein Forum, sie wird (zumindest von außen) als kollektive/r politische/r Akteur/in wahrgenommen. Der Unterschied: es wird angenommen, dass diese/r auf Basis von geteilten Einstellungen handelt – das Handeln wird daher auch allen Teilnehmer/innen zugerechnet.

Bei der Occupy-Demo am 15. Oktober hat in Wien ein antirassistischer Konsens gefehlt. Ich als Teilnehmer hätte mir deshalb theoretisch den sichtbaren Antisemitismus mancher zurechnen lassen müssen, hätte ich mich nicht davon distanziert. Auch in meinem Umfeld haben sich viele von der Bewegung abgewendet.

Ich bedauere, dass die Auseinandersetzung so spät stattfindet, da viel Frustration abgewendet hätte werden können. Ich hoffe, dass die Occupy-Kräfte, die sich schon früher gerne abgegrenzt hätten, sich nun durchsetzen können. Auseinandersetzungen gibt es offensichtlich bereits. Mal sehen, wie klar die Worte werden.

6 Gedanken zu „Mit wem soll man (nicht) reden?“

  1. wie auch schon von ju lia erwähnt in den FB posts:

    „es war NIE im sinne der 15o organisation, auch nur annähernd faschistisches gedankengut zu tolerieren!“

    und

    „Toleranz wird zum Verbrechen, wenn sie dem Bösen dient (Thomas Mann)“

  2. Hallo Philipp!

    Nachdem ich Deinen Artikel über Twitter entdeckt habe, möchte ich ihn gleich kommentieren. Ich habe als Teil der Occupy-Bewegung die aktuelle Diskussion aus meiner Sicht erläutert:

    http://peterwurm.wordpress.com/2012/01/23/occupy-austria-und-der-antisemitismus/

    Ich möchte Dich auch insbesondere auf die Kommentare zu diesem Artikel hinweisen, unter anderem auch von mir selbst:

    Lieber Andreas!
    Das ist die entscheidende Frage für das menschliche Handeln: Wie kann ich Intoleranz tolerieren, wie kann ich Unrecht mit Recht bekämpfen und wie kann ich Feindbilder überwinden, ohne selbst Feindbilder zu produzieren? Das ist die Gradwanderung des menschlichen Handelns. Die Instrumentalisierung von Feindbildern in rassistischer, sexistischer, völkischer, sozialer oder religiöser Form hat in dieser Überzeugung keinen Platz. Das muss draußen bleiben – ab in den Abort der Geschichte damit.

    Liebe Grüße

    Peter

  3. Die Dunkelheit kann die Dunkelheit nicht vertreiben, nur Licht kann es.
    Der Hass (die Abgrenzung) kann den Hass (oder die Abgrenzung) nicht vertreiben, nur die Liebe kann es.

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