Kundgebung heißt jetzt Flashmob

Für die Institution: Emanzipative Kräfte sollten gegen den Zeitgeist wieder lernen, ihre Interessen in nachhaltigen Kollektiven zu organisieren.

Kundgebung heißt jetzt Flashmob
Kundgebung heißt jetzt Flashmob

Eineinhalb Millionen ÖsterreicherInnen waren in den 90er Jahren Mitglied einer Partei. 20 Jahre später ist den Parteien zumindest jedes dritte Mitglied abhanden gekommen. Das Vertrauen in die Parteien liegt am Boden. Die steigende Unlust, sich in Institutionen zu engagieren, spüren auch Kirchen, Gewerkschaften und NGOs.

Institutionen uncool

Die längerfristige Bindung an eine Organisation ist aus der Mode gekommen. Die Generation Facebook steht auf spontane und lose Formen des Engagements. Kundgebungen heißen heute Flashmob (auch wenn sie lange angekündigt sind). Das signalisiert der Internetgemeinde maximale Unverbindlichkeit. Standkundgebung mit mehrstündigen Redebeiträgen und starre Abläufe in Institutionen wirken auf Social-Media-Sozialisierte wenig ansprechend. Junge Parteimitglieder sind nicht mehr bereit, Flyer zu verteilen, um in Bezirkssitzungen ernst genommen zu werden.

Auf Facebook haben sie es anders gelernt: heute die Anti-Atom-Petition, morgen für Flüchtlinge. Je nach Gusto dort ein Kommentar und da eine Petition. Dezentrale Schwarmkampagnen wie die „Uni brennt“-Bewegung sind für viele attraktiver als von NGOs organisierte Kampagnen: weil sie dynamischer sind und ihre Hierarchien weniger starr. Wenn keine Energie in die Aufrechterhaltung des Apparats geht, kommt man schneller ins Handeln.

Vereinzelung und Demobilisierung

Allerdings: Jene, die für Gewerkschaften und Parteien nichts als Häme aufbringen, müssen sich die Frage gefallen lassen, ob ihre Haltung nicht der neoliberalen Ideologie Vorschub leistet, welche soziale und ökonomische Krisenerscheinungen zur persönlichen Verfehlung vereinzelt und wirksame Gegenwehr demobilisiert. Wem nutzen schwache Institutionen?

Geht nicht die Delegitimierung von Gewerkschaften mit einer sinkenden Lohnquote einher? Folgt nicht auf die Schwächung der Parteien die Übermacht der Konzerne? Insbesondere emanzipative Politik und der Schutz der Menschenrechte sind auf starke Institutionen angewiesen. Viele Schwache, die zusammen halten, werden stark. Nicht umsonst haben neoliberale Speerspitzen wie Margaret Thatcher mit der Zerschlagung der Gewerkschaften begonnen.

Organisationen sind Speicher von Macht, sie halten Wissen und Ressourcen verfügbar. Sie kanalisieren spontanes Handeln in kollektive Formen. Die Energie, die vorne als mühselige Einordnung hineingeht, kommt hinten als Professionalität und Nachhaltigkeit wieder heraus: Eine NGO lernt nicht jedes mal aufs Neue, wie Kundgebungen organisiert und EntscheiderInnen bearbeitet werden. Die Forderungen der Gewerkschaft sitzt die Bildungsministerin nicht so leicht aus wie die der Audimax-BesetzerInnen.

Gewerkschaften, NGOs und Parteien machen wenig Spaß. Sich wirksam in ihnen zu bewegen erfordert Ausdauer und Disziplin. Die Ablehnung institutioneller Organisation bedeutet allerdings, sich einer Möglichkeit zu berauben, partikulare wie universelle Anliegen durchzusetzen. Gerade emanzipative Kräfte sollten wieder lernen, ihre Interessen auch in nachhaltigen Kollektiven zu organisieren. Demokratien werden zur Fassade, wenn ihre BürgerInnen die Fähigkeit verlernen, Interessen wirksam zu organisieren.

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