Eine fehlerlose Polizei ist zu viel verlangt

Der Anwalt Clemens Lahner über Versäumnisse der Staatsanwaltschaft, die Risiken sich zu beschweren und den Unterschied zwischen irrenden und lügenden PolizistInnen. Ein Beitrag für MO-Magazin für Menschenrechte. Interview: Philipp Sonderegger, Fotos: Karin Wasner

Anwalt Clemens Lahner ist auf Misshandlungsvorwürfe gegen die Polizei spezialisiert. Bild: Karin Wasner/mo-Magazin
Clemens Lahner ist einer der profiliertesten Anwälte bei Polizeiübergriffen. Bild: Karin Wasner/mo-Magazin

Eine Polizei, die keine Fehler macht, wäre das nicht wunderbar?
Es wäre zu viel verlangt. Jeder Mensch macht Fehler, auch AnwältInnen. Zum Problem wird es, wenn eine Organisation nicht bereit ist, aus Fehlern zu lernen. Und es macht einen Unterschied, wenn die bewaffnete Staatsgewalt Fehler macht. Wenn mir jemand die Haare schlecht schneidet, kann ich das nächste Mal woanders hingehen. Diese Wahlmöglichkeit habe ich gegenüber der Staatsgewalt nicht. Zur Polizei kann ich nicht sagen, bitte, schicken Sie mir wen anderen. Zweitens hat die Polizei Befugnisse, mit denen sie weit in unsere Grundrechte eingreifen kann.

Beim Zeitung lesen könnte man den Eindruck gewinnen, dass Sie laufend Verfahren gegen die Polizei gewinnen. Sind Sie reich?
Mit Maßnahmenbeschwerden kann man tatsächlich gutes Geld verdienen. Die Republik zahlt nach Anwaltstarif und der ist gedacht für Menschen mit Geld. Mit den gewonnenen Maßnahmenbeschwerden finanziere ich aber den anderen, den größeren Bereich meiner Arbeit, das Asylrecht. Da kann ich nicht nach Tarif abrechnen, weil die Menschen einfach das Geld nicht haben.

Klingt nach einer Einladung, sich über die Polizei zu beschweren.
Achtung, eine verlorene Maßnahmenbeschwerde kann eine Menge Geld kosten. Wer sich über eine Festnahme beschwert und vor Gericht verliert, zahlt etwa 900 Euro an die Polizei. Man sollte sich eine Beschwerde zwei Mal überlegen.

Wann raten Sie zu einer Beschwerde?
Erstens, wenn sich das rechtswidrige Verhalten schon aus dem Polizeiakt ergibt. Wenn die Behörde das Fehlverhalten dokumentiert hat, brauche ich nichts mehr zu beweisen. Zweitens, wenn ich ein anderes starkes Beweismittel habe. Heutzutage haben viele Menschen ihr Handy parat und können Amtshandlungen filmen. Das hat Gewicht. Wenn nur Aussage gegen Aussage steht, rate ich eher ab. Da besteht ein Risiko, dass das Gericht der Polizei glaubt und man verliert.

Anwalt Clemens Lahner vertrat u.a. jenen Klima-Demo-Beobachter, den die Polizei am 31. Mai 2020 unrechtmäßig festnahm und dessen Kopf unter ein Polizeiauto geriet.

Ist das nicht unfair?
Gerichte geben PolizistInnen einen Vertrauensvorschuss, nach dem Motto: BeamtInnen haben einen Amtseid geschworen. Sie haben sich entschieden, Dienst in der Uniform zu machen, der Gesellschaft zu dienen und haben keinen Grund zu lügen. Erst wenn ein Video oder widersprüchliche Aussagen Hinweise darauf ergeben, dass sich der Polizist oder die Polizistin geirrt haben könnte oder womöglich sogar die Unwahrheit sagt, dann urteilen RichterInnen auch anders und ziehen die Aussagen in Zweifel.

Wie oft kommt es vor, dass PolizistInnen vor Gericht lügen?
Es kommt definitiv vor, dass ein Polizist oder eine Polizistin eine Aussage macht und ich weiß, dass sie falsch ist. Es ist aber die Ausnahme, dass ich davon überzeugt bin, das ist gelogen. Relativ oft komme ich zum Schluss, dass sich da jemand irrt oder dass mich nicht überzeugt, was der Mensch erzählt.

Alles ein großes Missverständnis?
Die meisten Menschen bemühen sich, die Wahrheit zu sagen. Ich gebe einmal grundsätzlich jedem Menschen einen Vertrauensvorschuss. Wer mir in die Augen schaut und sagt, das war so, dem bin geneigt zu glauben. Aber: wenn zwei Menschen die gleiche Situation erleben, dann heißt das noch nicht, dass sie das Gleiche wahrnehmen. Ich versuche dann auch nicht notwendigerweise das Gericht davon zu überzeugen, mein/e MandantIn sagt die Wahrheit und der Polizist oder die Polizistin lügt. Ich versuche zu klären, wer geht dort mit welcher Erwartungshaltung rein, wer hat dort welche Wahrnehmungen und wie kommt es zu unterschiedlichen Schilderungen.

Lahner: „Gerichte geben PolizistInnen einen Vertrauensvorschuss.“

Um ein Verfahren zu gewinnen, ist es nicht zwingend, die Wahrheit zu ergründen?
Wenn ich eine Maßnahmenbeschwerde einbringe, muss ich beweisen, dass die Amtshandlung rechtswidrig war. Es reicht aus, wenn ich aufzeige, ein/e PolizistIn hat sich geirrt. Manchmal legen MandantInnen Wert darauf, nicht nur das Verfahren zu gewinnen, sondern eine falsche Darstellung durch die Polizei zu korrigieren. Und auch ich ärgere mich, wenn jemand knallharte Lügen erzählt. Aber meistens ärgern sich die RichterInnen mehr. Unlängst wurde in einem meiner Verfahren ein Polizeibeamter wegen falscher Zeugenaussage bei der Staatsanwaltschaft angezeigt. Die Richterin hat gemeint, man kann sich mal irren, aber bewusste Falschangaben müssten Konsequenzen haben.

In Wien wurden sechs Beamte suspendiert, weil sie offenbar zwei prügelnde Kollegen gedeckt haben.
Gut, dass die Polizeiführung rasch gehandelt hat und der Fall gerichtlich geklärt wird. Das eigentliche Versäumnis sehe ich in diesem Fall auf Seiten der Staatsanwaltschaft. Da hätte jemand fragen müssen, Moment mal, ein Spiellokal, gibt’s da keine Überwachungskamera? Dass dieser Mann nicht nur Gewalt erfahren musste, sondern dann auch noch selber das Video beischaffen musste, um sich vom Vorwurf der Verleumdung frei zu beweisen, ist tatsächlich ein Skandal.

Offenbar kein Einzelfall. In zwei Drittel der Misshandlungsverfahren gibt die Staatsanwaltschaft keine Ermittlungsaufträge an die ErmittlerInnen.
Die Staatsanwaltschaften haben alle eher zu viel Arbeit, als zu wenig. Zusätzliche Ermittlungsaufträge machen den Aktenstapel auch nicht kleiner. Aber es sollte selbstverständlich sein, dass überall, wo es Videos oder Fotos gibt, diese auch herbeigeschafft werden. Entscheidend ist auch die Geschwindigkeit der Ermittlungen. Verfahren werden oft mit der Begründung eingestellt, dass ein Opfer widersprüchliche Angaben gemacht hat. Aber nach fünf, sechs Monaten können sich Betroffene einfach nicht mehr an jedes Detail genau erinnern.

Lahner: „Die Polizei ist heute etwas besser darin, mit Frauen, die Gewalt in der Familie erfahren, zu sprechen.“

Was schlagen Sie vor?
Sonderstaatsanwaltschaften könnten eine Verbesserung bringen. Die geplante unabhängige Ermittlungsstelle zu Polizei-Gewalt ist hoffentlich auch ein Schritt zu rascheren und gründlicheren Ermittlungen. Und einer besseren Fehlerkultur.

Hat die Polizei dazu gelernt?
Die Polizei ist heute etwas besser darin, mit Frauen, die Gewalt in der Familie erfahren, zu sprechen. Sie ist besser, wenn es um die Frage der Inanspruchnahme von Dolmetschleistungen geht, oder bei der Dokumentation von Amtshandlungen. Unter dem Eindruck der EGMR-Judikatur muss heute die Polizei beweisen, was passiert ist, wenn jemand mit Hämatomen die Polizeiinspektion verlässt. Das hat viel verändert. Im Vergleich zu vielen anderen Ländern haben wir eine gute Polizei und auch im Vergleich zu Österreich vor 30 Jahren. Vor 30 Jahren hatte aber auch noch nicht jede/r ein Mobiltelefon einstecken. Und was noch immer ein ernstes Problem ist: Armutsbetroffene oder etwa Menschen, die nicht so weiß sind wie ich, erleben Polizei leider immer noch als diskriminierend. Da ist noch viel zu tun.

Gibt die Polizeiorganisation nur zu, was man ihr nachweisen kann?
Wenn der Sachverhalt, den wir in einer Beschwerde behaupten, nicht 1:1 dem entspricht, was die Polizei selber dokumentiert hat, wird er immer bestritten. Und dann kann es passieren, dass wir im Verfahren Videos oder Fotos vorlegen können und uns die Gerichte recht geben. Die Verfügbarkeit dieser objektiven Beweismittel hat die Rechtssprechung verändert.

Wie wurde Ihre Unterstützung der Partei LINKS im Wiener Wahlkampf aufgenommen?
Ich glaube nicht, dass jemand überrascht ist, dass ich politisch links stehe. Ich schaue nicht aus wie ein typischer Anwalt und auch mein Aufgabenfeld unterscheidet sich von dem vieler KollegInnen. Die Vertretung und Verteidigung vieler linker AktivistInnen in den letzten Jahren habe ich auch aus Gründen der Solidarität und des Respekts vor ihrer Arbeit übernommen. Von manchen Menschen habe ich positive Rückmeldung bekommen, dass ich mich öffentlich bekenne, weil sie selbst diesen Schritt aus Angst vor beruflichen Konsequenzen nicht wagen würden.

Ablehnende Reaktionen gab es keine?
Ein Mandant hat gefragt, Herr Lahner, wenn ich Sie als Anwalt nehme, bin ich dann nicht gleich abgestempelt als „Antifa-Aktivist“ bei Gericht oder glaubt dann die Richterin nicht erst recht, dass ich irgendwie ein Randalierer bin? Natürlich kann ich nicht in RichterInnen hineinschauen, aber ich vertraue darauf, dass sie zwischen Mandantschaft und Rechtsvertretung unterscheiden können. Und ich denke, mein Team und ich haben uns durch unser Engagement auch den Respekt derjenigen erarbeitet, die politisch anders ticken.

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