Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit ist die eierlegende Wollmilchsau der Polizeiarbeit. Kaum ein Aspekt bleibt so unhinterfragt – selbst von harten Kritiker:innen der Polizei. Wie ein magischer Schwur mobilisiert er Akzeptanz für das Gewaltmonopol. Das Prinzip regelt, dass Polizist:innen Gewalt nur in angemessener Weise ausüben dürfen. Welche Gewalt in einer konkreten Situation angemessen ist, wird in einer Prüfung der Verhältnismäßigkeit abgewogen.
Prüfung der Verhältnismäßigkeit
Gewalt braucht einen gesetzlichen Zweck, der Eingriff muss zielführend und darf nicht überschießend sein. Die Folgen dürfen nicht schwerer wiegen als die abgewendete Gefahr und Unbeteiligte sind zu schonen. Nicht zu viel und nicht zu wenig, also. Im Grunde beschränkt das Prinzip Polizist:innen in ihrem Verhalten eng.
Aber wer entscheidet, welches Mittel konkret das verhältnismäßige ist? Letztlich sind es Gerichte, die im Rückblick urteilen, sofern eine Amtshandlung bei der Justiz landet. Vorher in der Amtshandlung sind solche Abwägungen das tägliche Brot von fast 40.000 Polizist:innen. Dabei stützen sie sich auf die Aus- und Fortbildung, in der die Anwendung des Prinzips sowie konkrete Einsatztechniken geübt und trainiert werden.
Handlungsfähigkeit der Polizei
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist für die Polizei so wichtig, weil er der Organisation in einer Vielzahl komplexer Situationen hochgradige Handlungsfähig verleiht. Ist das Prüfschema einmal erlernt, kann es auf jede Situation angewendet werden. Polizist:innen brauchen anders als etwa Pilot:innen oder Ärzt:innen keine Checkliste für jeden erdenklichen Sachverhalt. Das bedeutet wiederum sehr hohe Handlungsfreiheit für die Beamt:innen.
Strengere Beschränkungen
Die Verantwortung für Fehlverhalten verschiebt sich dabei von der Institution zu den einzelnen Beamt:innen. So argumentierte der Anwalt des Polizisten, der bei der Urania einen Demonstranten in die Nieren geschlagen hatte vergeblich, dass Faustschläge als zulässiges Einsatzmittel gelehrt werden. Hier fühlen sich Polizist:innen zu Recht im Regen stehen gelassen. Bei der Festlegung erlaubter Einsatztechniken muss die Polizeiführung also strenger werden, damit Polizist:innen nicht erst vor Gericht erfahren, was sie nicht dürfen.