Die Säulen der Macht

Österreichs Sozialen Bewegungen fehlt es eher an strategischem Denken denn an lustigen Ideen.

Martin Luther King
Martin Luther King, niched die Civil Rights Bill am 19. Juni den Senat passierte. (Fotomontage)

Die Riahi-Brüder präsentieren ihren sehenswerten Film Everyday Rebellion im Kino. Vom Arabischen Frühling bis Occupy Wall Street spannt die Doku einen Bogen. Von gewaltlosen Protestformen zu lustvollem Widerstand. Bei der Premierendiskussion im Gartenbau-Kino sind die Scheinwerfer auf Inna Schewtschenko, Frontfrau von Femen gerichtet. Sie beantwortet am meisten Fragen. Femen entblößen ihre Brüste, um mediale Aufmerksamkeit für feministische Anliegen zu erzeugen. Auch während der Vorführung finden einfallsreiche Protestideen viel Publikumsresonanz. Der dürre Serbe Srdja Popovic hingegen, der weltweit Bewegungen aufbaut und in lapidaren Worten die Unerlässlichkeit von Planung predigt, er steht beim Publikumsgespräch etwas im Abseits. Eine Frage sehen Moderation und Publikum für ihn vor.

Eine Idee muss her …

Tage später hält FM4-Moderator Martin Blumenau seine Begeisterung für Schewtschenko in einem Blogbeitrag fest. In einer Fernsehsendung habe sie spontan die Idee entwickelt, die Fahnen vor dem österreichischen Parlament auszutauschen und eine eigene Flagge zu hissen. Genau daran mangle es der österreichischen Protestkultur, so Blumenau: an einer kreativen, aufmerksamkeitserregenden Idee mit Mut zum Risiko.

Ich meine, genau daran mangelt es der österreichischen Protestkultur nicht. Zunächst einmal ist die Beobachtung faktisch falsch. Nicht selten wurden hierzulande Ansätze praktiziert, die erst Jahre später international reüssierten: „Titten gegen Rassismus“ hieß eine Fotoserie von Katsey gegen Schwarz-Blau. Jahre vor Femen. Netzwerkförmiger Protest wurde bereits 2009 von den Audimaxist/innen konzeptualisiert, als von den spanischen Indignados oder Occupy noch lange keine Rede war. Und von Risikobereitschaft können jene Tierschützer/innen ein Lied singen, die nach mehrjährigen Prozessen rehabilitiert, aber finanziell ruiniert dastehen.

… oder doch eine Strategie?

Was hierzulande fehlt, sind die kühlen Denker/innen, die nicht nur auf den schnellen Effekt aus sind, sondern kreativen Aktivismus mit einer tragfähigen Strategie verbinden. Einige NGOs – vor allem im Umweltbereich – verfügen über die Kompetenz, Ziele, Taktiken und Ressourcen abzustimmen. Doch gerade unseren politischen Bewegungen mangelt es meist an einer konkreten Vorstellung, welche Verhältnisse durch welche Maßnahmen konkret verändert werden sollen. Ein Defizit, das mit noch mehr Aktionismus wett gemacht wird.

Popovic’ Rezept ist nicht besonders aufregend: Er meint, um ein Regime zu stürzen, müssen Protestbewegungen gesellschaftliche Säulen der Macht wie die Polizei, die Mittelschicht oder Medien für sich gewinnen. Ob konkrete Gesetzesänderungen durchgesetzt, eine Ministerin gestürzt oder sozialer Wandel bewirkt werden soll – vom Prinzip her lässt sich dieses Schema auf alle politischen Ziele anwenden. Doch das erfordert genaue Kenntnisse der Lage, einen guten Plan und Ausdauer.

Veröffentlicht in Mo – Magazin für Menschenrechte.

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