Das „geheime“ Netzwerk der Studierenden

Die Studi-Proteste könnten noch so manche BeorbachterIn überraschen. Wer mit einem baldigen Ende des Spuks rechnete, übersieht: Einem Netzwerk kann man den Kopf nicht abschlagen.

Das Rektorat weiss schlicht nicht, mit wem es verhandeln soll. Bild: Christian Kadluba

Am Donnerstagabend machte ich mir selbst ein Bild vor Ort, weil ich die Besetzung des Audimax über Twitter mit verfolgt hatte und die Euphorie des Protests rasch auf mich übergesprungen ist. Gleich lief ich ein paar alten Bekannten über den Weg, allesamt in der einen oder anderen Art mit sozialen Bewegungen befasst. Allgemeiner Tenor: Man werde ja sehen, ob das Aufbegehren nachhaltig bleibe, schließlich hätten die jungen Leute wenig Erfahrung und den Audimax zu halten, das brauche schon etwas an Infrastruktur, so die skeptische Beurteilung. Bis Samstag gaben die meisten den Studis.

Neue Qualität
Wir haben uns getäuscht, und mit uns womöglich auch Öffentlichkeit und Politik, wie Digiom vermutet. Denn was sich da bei näherem hinsehen zeigt, ist eine hierzulande völlig neue Qualität des Protests. Waren etwa die letzten größeren Studiproteste noch von der offiziellen Studierendenvertretung ÖH initiiert und getragen, handelt es sich hier um die Vernetzung von mehreren Gruppen auf Studienrichtungsebene, die sich aus Anlass des Generalstreiks auf der Bildenden autonom zu einer Besetzung des Audimax entschlossen.

Erwies sich die ÖH bei vergangenen Uniprotesten als politisches Nadelöhr – einmal defensiver als die Basis, ein ander mal offensiver, aber jeweils leicht von der Politik unter Druck zu setzen –  so fehlt diesmal schlicht einE AnsprechpartnerIn. Offiziell unterstützt die ÖH den Protest, es dürfte aber den Tatsachen entsprechen, dass sie kein herausragendes Zentrum  des Protestes darstellt.

Eine Sprecherin der Uni Wien beklagte sich dann auch in mehreren Medienberichten, dass es ihnen schlicht an einem Gegenüber für Verhandlungen über die Freigabe des Audimax fehle. Dem Rektor der Uni Wien, Georg Winckler, wurde ausgerichtet, er könne sich jederzeit im Plenum an die Studierenden wenden,  man betrachte ihn aber ohnehin nicht als Adressaten des Protests, es gehe vielmehr darum, „den Hahn zu rupfen“.

… Netzwerk-Protest.
Die Verweigerung eines/r RepräsentantIn ist keine taktische Finesse, wie man meinen könnte. Sie hat System. Ein System, das keine Geheimwissenschaft darstellt: Der Protest wird nicht hierarchisch organisiert, sondern netzwerkartig flach, dezentral und mit vielen Knotenpunkten. PressesprecherInnen werden jeden Tag neu gewählt, um zu verhindern, dass einzelne zu wichtig werden. Eine dieser PressesprecherInnen sagt auf Chilli.cc: „Ich spreche nicht für alle. Wir sind basisdemokratisch organisiert, das ginge nicht anders. Die Leute würden sonst abhauen, wenn sich eine einzelne Gruppierung in den Vordergrund drängt“ Auch die sechsköpfige Organisationsgruppe wird jeden Tag neu gewählt. Angeblich werden in 44 Arbeitsgruppen Entscheidungen vorbereitet, die dann im Plenum abgesegnet werden müssen, um zu verhindern, dass sich informelle Strukturen durchsetzen können. Was da in wenigen Tagen mit dem Prinzip Netzwerk an Organisationsgrad erreicht wurde, ist erstaunlich, wie Niko Alm richtig beobachtet.

Einerseits wird die Struktur des Protestes auf diese Weise gestärkt, weil Wohl und Wehe des Aufbegehrens nicht von einigen Wenigen abhängen. Andererseits ermöglicht die Netzwerkarchitektur eine unglaublich effiziente Ressourcen-Allokation. Das scheint auch die Unileitung begriffen zu haben, die offensichtlich das öffentliche WLAN im Audimax abgeschalten hat, um die Kommunikation nach außen zu erschweren. Dieses Problem wurde von den Studis kurzerhand gelöst, nun läuft ein eigener Livestream aus dem Gravitationszentrum des Protests, über Twitter, Skype und Co, kommunizieren die Studis untereinander, mit solidarischen Unis und mit Interessierten.

Effiziente Ressourcen-Allokation
Weil die Kommunikation in hohem Maße transparent und dezentral verläuft, fällt es weniger zentralen NetzteilnehmerInnen leichter sich einzubringen, als dies bei klassisch hierarchischen Organisationsformen je möglich wäre: Wer etwas braucht oder beitragen will, holt sich nicht vorab die Erlaubnis vom Zentrum, sondern speist die Info ins Netzwerk ein.  So organisieren die einen eine Volxküche, die mit Essen versorgt, mehrere Websiten wurden ins Netz gestellt und wieder andere verbreiten antisexistische Flyer. Eine zentrale Organisation stieße hier bald an ihre Koordinations-Grenzen. Das Netzwerk hingegen kann schier unendlich wachsen.

… aber auch mühsam.
Das ist alles sehr aufwendig und mühsam. Es gibt keine Letzt-Verantwortlichen und keine sakrosankten Regeln. Selbst über die banalsten Dinge muss immer und immer wieder gesprochen und abgestimmt werden, da sich von Plenum zu Plenum andere Leute im Raum befinden. Hinzu kommt, dass sich die Bewegung grob aus drei Milieus speist, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Hauptsächlich wird die Besetzung von „gewöhnlichen“ Studierenden getragen. Sie haben die Nase voll und sind bereit, sich für bessere Studienbedingungen einzusetzen, aber verfügen über wenig bis keine Erfahrung in politischen Bewegungen.  Relativ schnell haben sich organisierte linke Gruppen eingefunden, denen an der Ausweitung des Studiprotestes auf die „soziale Frage“ gelegen ist. Und vor allem Nächtens finden sich auch Partymenschen ein, die von Haus aus wenig Interesse an politischer Arbeit mitbringen.

Wenn diese Mileus aufeinanderstoßen kann es mitunter recht grob werden: Den Politgruppen wird wegen ihres organisierten und sichtbaren Auftretens Instrumentalisierung vorgeworfen, während die Feierfreudigen als unpolitisch denunziert werden. An Fragen der Repräsentation und der „Ernsthaftigkeit“ des Protests entzündeten sich dann auch die hitzigsten Debatten im Plenum:  Fahnen von Organisationen auf der Demo wurden per Abstimmung abgelehnt, doch die Frage, wer auf der Pressekonferenz sprechen darf, entfachte ein stundenlanges Hick-Hack.

Nichts wofür die Schwarmintelligenz keine Lösung hätte: Heute Nachmittag war im Stream ein junger Mann zu sehen, der eine kleine Ansprache hielt, wie man „dem anderen sagen kann, dass mein seine Meinung nicht teilt, ohne verletzend zu sein und ohne von seinem eigenen Standpunkt runter zu gehen“.

Dem Netzwerk den Kopf abschlagen?
In der Vergangenheit wurden Studi-Proteste meist nach demselben Muster beendet. Die Politik ließ die OrganisatorInnen zunächst ins Leer laufen, um sie beim Auftreten von Ermüdungserscheinungen unter Druck zu setzen und entscheidend zu schwächen. Doch einem Netzwerk kann man keinen Kopf abschlagen. Man darf gespannt sein, ob sich bald informelle Strukturen entwickeln, die  zum angreifbaren Glied in der Kette werden. Dann droht dem Aufbegehren tatsächlich bald das Schicksal der Marginalisierung, wie Martin Blumenau befürchtet. Oder erweist sich der Widerstand tatsächlich als skalierbar? Wenn die Bewegung netzwerkartig weiterwächst, kann sie sogar auf die Bevölkerung übergreifen. In der Theorie liegen die Stärken eines Netzwerkes ja in der Fähigkeit, Widersprüche zu überbrücken und heterogene Teile zu integrieren. Gelingt es, hunderte Knotenpunkte in der Bevölkerung zu aktivieren, die vom Anliegen angesteckt werden, dann schein alles möglich!

41 Gedanken zu „Das „geheime“ Netzwerk der Studierenden“

  1. Pingback: Unsere Uni brennt
  2. Toller Artikel, besonders der letzte Absatz ist etwas was ich auch instinktiv gespürt habe. Diese Art der Vernetzung hat Potential und Zukunft!

  3. Wollte nur anmerken, dass die Uni das WLAN nicht aus Boshaftigkeit abgeschalten hat, sondern auf Grund der Baustelle. Nach einem Gespräch mit dem Raum und Ressourcenmanagement wurde das WLAN auch wieder eingeschaltet. Zusätzlich werden jetzt keine 6 Org-Personen mehr gewählt, das war nur einen Tag so (am Freitag).

  4. danke für den interessanten artikel! es ist wirklich interessant, von innen heraus so eine analyse zu lesen.

    ein kleines update: unsere neue homepage ist online, zu finden unter http://www.unsereuni.at

    morgen haben wir übrigens ein echt tolles programm im audimax: fritz keller, christian felber, robert menasse und klaus werner-lobo werden am nachmittag im audimax sprechen! das genaue programm findet ihr auf der homepage. wir freuen uns über alle besucherInnen!

    liebe grüße aus dem audimax!
    niko und das presseteam

  5. Wir von der AG Presse sagen Danke für die Unterstützung auch auf der SOSMitMensch Homepage. Wir möchten dich gerne einladen morgen unsere Proteste in der Uni Wien zu begleiten. Über unsere Homepage http://unibrennt.at/ bekommst du einen Überblick über unserer Programm und vielleicht bekommst du Lust an unseren Diskussionen teilzunehmen. Wir freuen uns auf jeden Fall über einen Besuch von dir und spannende Diskussionen.

    Auch morgen wieder ist Tag der offenen Tür in dir Uni Wien und natürlich ist jeder herzlich eingeladen zu kommen.

    lg
    Rahel

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