1 Jahr nach Occupy

Letzte Woche zeigte das Menschenrechtsfilmfestival this human world eine Dokumentation über die Occupy-Bewegung. Rund ein Jahr nach deren Peak. Im Anschluss an das Screening redete ich mit den Regisseur/innen von „99%: The Occupy Wall Street Collaborative Film“, was von der Bewegung bleibt.

Vlnr: Anna Müller-Funk, Audrey Ewell, Aaron Aites, Philipp Sonderegger. Bild: Katharina Führer - this human world

Bei der Herstellung der Dokumentation setzten Audrey Ewell und Aaron Aites auf Kollaboration. 100 Filmemacher/innen haben Teile der Doku über die Proteste in den den USA gestaltet. Ewell und Aites haben die Teile zu einem Ganzen gefügt. Ergebnis ist eine inspirierende und bewegende Chronik, in der auch fast alle wesentlichen Debatten um diese soziale Bewegung abgebildet sind.

Spannend ist dabei, dass bei einigen Themen unterschiedliche Standpunkte auch formal unterschiedlich aufbereitet werden. Etwa der Doppelcharakter von Bewegungen als politischer Akteur/in (Aussensicht) und als Forum (Innensicht): Der Wunsch von Medien nach Sprecher/innen der Bewegung wurde als Interview-Sequenz mit Naomi Wolf eingebracht. Statt dem ein weiteres Expert/innen-Statement entgegen zu setzen, illustriert die Doku die Innensicht mit umkommentiertem Material über die „General Assembly“.

Kritikpunkt: Anschlußfähigkeit an Antisemitismus

Eines der ausgesparten Themen ist die Anschlussfähigkeit der Occupy-Bewegung an antisemitische, rechtsextreme und autoritäre Strömungen. In Wien haben bekanntlich Neo-Nazis aus dem Küssel-Umfeld an der Kundgebung teilgenommen, einige Organisator/innen fanden überdies keine angemessene Abgrenzung von antisemitischen Gruppierungen und die „wissenschaftliche Methode“ der Zeitgeist-Bewegung halte ich zumindest für anti-demokratisch.

Doch meine Kritik geht noch weiter: Schon die Figur der 99% ist problematisch, weil weder das Wir noch die Gegner/innen ausreichend politisch bestimmt werden. Ich wende mich nicht prinzipiell gegen den Kunstgriff, eine minoritäre Position zur hegemonialen zu erklären. Allerdings sollte das Wir dann auch inhaltlich bestimmt werden, um mögliche Missdeutungen abzuwenden. Zumindest sollte irgendwo definiert sein, welche politischen Haltungen nicht Teil des Wir sind.

Auch die 1% sind Gegenstand aller möglicher und unmöglicher Deutungen. Diese werden wohl etwas mit der Finanzindustrie und den Superreichen zu tun haben. Offen bleibt aber, ob es darum geht, ein System zu ändern oder genügt es, einige besonders gierige Finanzhaie aus dem Verkehr zu ziehen? Womöglich jüdische, wie das einige Demonstrations-Teilnehmer/innen in Wien mit ihren Slogans suggerierten?

Was bleibt von Occupy?

Die Occupy-Bewegung kann aus meiner Sicht zwei wesentliche Errungenschaften verbuchen. Erstens wurden Techniken der netzförmigen Entscheidung popularisiert. Das human microphone, Bezugsgruppen oder konsentierende Verfahren sind nicht neu, mit der Occupy-Bewegung allerdings erlangten diese Techniken der Netzwerk-Organisierung auch in Mainstream-Öffentlichkeiten eine gewisse Bekanntheit.

Der wesentliche Punkt für die menschenrechtliche Diskussion ist das Aufgreifen fehlender Regulierungen am Finanzsektor. Regierungen sind verpflichtet, ihre Bürger/innen vor der Verletzung ökonomischer, sozialer und kultureller Menschenrechte zu schützen. US-Menschenrechtsaktivist/innen wie Radhika Balakrishnan argumentieren, die Aufweichung von Finanzmarkt-Regulierungen seit den 80ern laufe dieser Verpflichtung zuwider.

Eine zweites Menschenrechts-Prinzip verpflichtet Staaten, den Genuss ökonomischer, sozialer und kultureller Rechte im Umfang verfügbarer Geldmittel zu fördern – also in Gesundheit, Bildung, Wohnen und Arbeit zu investieren. Nun sind in der entsprechenden Konvention keine Sanktionen vorgesehen, deshalb bleibt die Frage, welche Ressourcen „zur Verfügung“ stehen eine politische. Daher wäre hilfreich, wenn die Menschenrechts-Community den Impuls der Occupy-Bewegung aufgreifen und verstärkt auf die Durchsetzung ökonomischer, sozialer und kultureller Rechte drängen würde.

Das Screening war eine Kooperation mit dem Boltzmann Institut für Menschenrechte. Moderiert hat Anna Müller-Funk.


Bilder: © Katharina Führer – this human world

 

Ein Gedanke zu „1 Jahr nach Occupy“

  1. Auf der Seite von Occupy-Wallstreet-Seite gibt es einen interessanten Nachruf auf den politischen Theoretiker Ernesto Laclau. Der Autor hält Laclau’s Populismus-Konzeption nützlich für die Occupy-Bewegung, bei der Laclau „empty signifiers“ – also unbestimmte Begriffe – zur Bildung kollektiver Identitäten und politischer Mobilisierung ins Spiel bringt. http://occupywallst.org/article/reflections-laclau/

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