Wie man eine Gegendemo rechtskonform wegschiebt

Letztes Wochenende spritzte die Polizei die Route einer rechtsextremen Demo mit Pfefferspray frei. Am Samstag sind beim „Marsch für die Familie“ erneut Blockaden durch Gegendemonstranten zu erwarten. Wie sieht eine rechtskonforme Abwicklung von Blockadedemos aus?

Einsatzeinheiten der Wiener Polizei spritzen die Demoroute mit Pfefferspray frei. Bild: Daniel Weber
Einsatzeinheiten der Wiener Polizei spritzen am 11. Juni 2016 eine Demoroute mit Pfefferspray frei. Bild: © Daniel Weber | neuwal.com

Wenn man sich die rechtskonforme Abwicklung von Blockadedemos Schritt für Schritt durchdenkt, dann wird offenkundig, dass die Polizei für diese Aufgabe organisatorisch nicht ausreichend vorbereitet ist. Ein Defizit, das in unverhältnismässige und rechtswidrige Amtshandlungen mündet und beträchtliches Eskalationspotential birgt.

Die Versammlungsfreiheit ist ein besonderes Grundrecht. Sie ist ein Sicherheitsnetz für einige andere Menschenrechte. Wenn Redaktionen kontrolliert, Wahlen manipuliert und Oppositionelle ausgehungert werden, bleibt noch immer die Möglichkeit, seine Meinung mit dem eigenen Körper auf der Straße zu vertreten. Deshalb sollten wir in guten Zeiten nix einreissen lassen, was das Versammlungsrecht in schlechten Zeiten unterminieren könnte.

  1. Wenn bei der Versammlungsbehörde mehrere Anzeigen für eine Kundgebung am selben Ort eingehen, muss die Polizei versuchen, alle Kundgebungen zu ermöglichen. Geht das nicht, wird in der Regel die später angezeigte Versammlung untersagt. Eine explizite Blockadedemo darf die Exekutive nicht zulassen.
  2. Bildet sich eine spontane Blockade-Gegendemo, ist die Polizei verpflichtet zu versuchen, die angezeigte Kundgebung in der geplanten Form durchzusetzen.
  3. Auch spontane Demos sind durch das Recht auf Versammlungsfreiheit geschützt. Nur ein etwaiger Veranstalter muss wegen versäumter Veranstaltungsanzeige mit einer Verwaltungsstrafe rechnen. Ohne weiteres auflösen kann die Polizei eine unangemeldete Demo nicht.
  4. Beim Durchsetzen der angemeldeten Demoroute gegen passiven Widerstand darf die Polizei tatsächlich auch zu Waffengewalt greifen. Aber nur dann, wenn weniger gefährliche Mittel ungeeignet scheinen. Die Reihenfolge der Mittel nach ihrer Intensität: Befehl, Wegschieben und Wegtragen (Kein Waffengebrauch), Schlagstock, Reizgas/Pfefferspray, Wasserwerfer und zuletzt die Schusswaffe. Der Waffengebrauch ist zunächst anzudrohen. ((Vgl. Waffengebrauchsgesetz ))

Wegschieben ist das Mittel der Wahl

  1. Das polizeiliche Mittel der Wahl bei Blockadedemos ist demnach das Wegschieben bzw. das Wegtragen der Gegendemo. Einfach den Weg mit Pfefferspray frei zu spritzen ist nicht zulässig. Nur wenn ungefährlichere Mittel nutzlos erscheinen, dürfen Waffen eingesetzt werden.
  2. Allerdings ist auch der Waffengebrauch limitiert. Die Verhältnismässigkeit verlangt, dass die eingesetzten Mittel auch geeignet sind, zum Ziel zu führen – also hier die angezeigte Kundgebung wie geplant durchzuführen. Anderseits dürfen keine lebensgefährlichen Waffen gegen eine passive Demo eingesetzt werden (( Der Einsatz tödlicher Waffen hat besonders engere Voraussetzungen, die bei einer passiven Blockade nicht gegeben sind, vgl. Waffengebrauchsgesetz  )) : Das bedeutet, dass ab einer gewissen Größenordnung die Entfernung einer Sitzblockade durch die Polizei rein logistisch nicht mehr durchführbar ist. 10.000 entschlossene Sitzblockierer können sich immer wieder so umgruppieren, dass eine Räumung aussichtslos wird, selbst wenn beide Wasserwerfer der Polizei zum Einsatz kommen sollten. In der Praxis beurteilt aber die Polizei, was als aussichtslos gilt, später gegebenenfalls kontrolliert durch ein Gericht.
  3. Kommt es zu Gewaltanwendung durch die Gegendemonstranten darf die Polizei schärfere Mittel anwenden. Straftaten bloß einzelner Demonstrationsteilnehmer können allerdings nicht der Kundgebung als ganzes zugerechnet werden. Die Polizei muss versuchen einen Weg zu finden, gegen Normverstöße vorzugehen ohne das Versammlungsrecht der friedlichen Teilnehmer einzuschränken. Sonst könnten Agents Provokateurs leicht jede Demo verhindern. Besteht keine unmittelbare Gefahr ist sogar ein Aufschub des Einschreitens zu erwägen, um unnötige Eskalation zu vermeiden. (( Vgl. Einheitliche Standards für polizeiliche Grosslagen des Menschenrechtsbeirates in der Volksanwaltschaft ))
  4. Die passive Blockade wird von der Staatsanwaltschaft übrigens im Gegensatz zur Rechtsmeinung der LPD Wien regelmässig nicht als Störung einer Versammlung eingestuft. Zahlreiche entsprechende Anzeigen aus 2014 und 2015 wurden nach Auskunft der StA Wien zurück gelegt.
  5. Die Polizei hat die organisatorischen Vorkehrungen zu treffen, um unter Punkt 7 genannte Aufgaben zunächst ohne Waffengewalt lösen zu können. So sind etwa ausreichend Beamten einzusetzen, die in speziellen Taktiken für das Trennen von friedlichen und unfriedlichen Demonstranten sowie das Wegtragen von Sitzblockaden geschult und trainiert sind. (( Vgl. Einheitliche Standards für polizeiliche Grosslagen des Menschenrechtsbeirates in der Volksanwaltschaft ))

Mehr Blockadedemos zu erwarten

Die österreichische Polizei wird vermutlich künftig zunehmend mit umfangreichen Blockadedemos konfrontiert sein – auch friedliche. Derzeit ist sie logistisch und taktisch im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Polizeien nicht in der Lage, mehr als ein paar Dutzend Sitzblockierer ohne Waffeneinsatz abzudrängen oder wegzutragen. Auch die Ahndung vereinzelter Normverletzungen mündet regelmässig in nicht notwendige Einschränkungen für friedliche Teilnehmer. Hier ist etwa Deutschland organisatorisch viel weiter.

Ob die konkreten Amtshandlungen tatsächlich rechtswidrig waren, darüber werden vermutlich Verwaltungsbeschwerden bald Klarheit schaffen. Ob die Polizei die notwendigen organisatorischen Grundlagen schafft, um das Versammlungsrecht für alle friedlichen Teilnehmer zu gewährleisten, das wird kein Gericht beurteilen. Es ist eine politische Frage. Wenn nichts geschieht, drohen viele eskalierte Kundgebungen, die Kriminalisierung friedlicher Teilnehmer und damit eine faktische Einengung der Versammlungsfreiheit.

Dieser Beitrag verdankt diversen Gesprächspartnern wertvolle Hinweise. Namentlich möchte ich mich bei Clemens Lahner bedanken. Die inhaltliche Verantwortung liegt bei mir.

Ein Gedanke zu „Wie man eine Gegendemo rechtskonform wegschiebt“

  1. Das ganze ist keine rechtliche, sondern eine politische Frage.

    Rechtlich ist die Lage klar: X meldet eine Demo an, Y will diese verhindern. Das darf Y nicht. Die Polizei darf den Versuch unterbinden und dabei natürlich auch „unmittelbaren Zwang“ anwenden – im Rahmen der Verhältnismäßigkeit der Mittel, aber das eröffnet immer noch eine ganze Reihe von Einsatzmitteln, vom Absperrgitter bis zum Pfefferspray.

    Politisch sieht das ganze schon wieder ganz anders aus. Aus eigener Erfahrung weiß ich: wenn die Polizeiführung, der Innenminister oder auch nur der Bürgermeister der betreffenden Stadt keinen Bock auf (z.B.) eine Nazidemo haben, dann reicht eine Sitzblockade von 200 Leute, um die vierfache Menge Nazis am demonstrieren zu hindern. Wenn dagegen, sei es aus Sympathien für das Anliegen der Demonstration, aus Gründen des Machtbeweises oder des öffentlichen Drucks, eine Demo durchgezogen werden soll, dann wird die Polizei auch 5000 Leute wegprügeln, um 500 Faschos den Weg frei zu machen.

    Viel wichtiger als die rechtliche Untersuchung, was den 11.6. angeht, ist folglich die der politischen Verantwortung. Wer hat entschieden, die Identitären auf dem Gürtel, weitab von ihrer angemeldeten Demostrecke, demonstrieren zu lassen? Warum fiel diese Entscheidung so, statt bspw. den Europaverteidigern eine Standkundgebung anzubieten? Und warum wurde schließlich entschieden, den Weg mittels Pfefferspray freizumachen?

    Wegen der Wurfgeschosse war es wohl eher nicht: auf einem von den Identitären selbst veröffentlichten Video ist sehr gut zu erkennen, dass die meisten Wurfgeschosse von (in Richtung Westbahnhof gesehen) links angeflogen kommen, aus dem Grünstreifen mit den Bim-Gleisen. Auch die WEGA stellt sich folgerichtig in dieser Richtung auf. Gepfeffert wird aber nach vorne, gegen eine zu diesem Zeitpunkt weitgehend passive Stehblockade von friedlichen Menschen.

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