Die Faust reichen

Antirassistische Arbeit steckt in einer Zwickmühle: auf den Tisch hauen und sich gleichermassen Gehör und Feinde verschaffen. Oder den eigenen Ärger schlucken und geduldig um Verständnis werben. Text: Philipp Sonderegger und Pia Vossen. Ursprünglich erschienen in mo – Magazin für Menschenrechte von SOS Mitmensch, #26, 1/2012.

Angelo Soliman
Angelo Soliman. Fürstlicher Hofmohr. Nach seinem Tode ausgestopft und halbnackt mit Muschelkette ausgestellt.

Irgendwann muss es in Gernot Liskas Kopf „klick“ gemacht haben – und es hatte wohl mit der Ausstellung zu tun. Der Geschäftsführer des Fachverbands Gastronomie der Wirtschaftskammer besuchte Ende Jänner das Wien Museum. Dort widmete man sich dem „fürstlichen Hofmohren“ Angelo Soliman. Menschenjäger/innen hatten Soliman als Kind aus Westafrika verschleppt und als Sklave nach Europa verkauft. Er landete in Wien und wurde zum Vorzeigediener des Adels. Exotisch ausstaffiert durfte er bei Hofe das Modegetränk Kaffee servieren. Soliman endete als präparierter Leichnam, halbnackt und mit Muschelkette drapiert, im kaiserlichen Naturalienkabinett.

Wenige Tage nach dem Museumsbesuch formulierte Lisak ein Schreiben an die Mitgliedsbetriebe seines Fachverbands – österreichweit immerhin 50.000 Betriebe. In dem Email empfiehlt die Wirtschaftskammer, von der kolonialen Speisebezeichnung „Mohr“ Abstand zu nehmen – so wie auch von anderen Begriffen, die Menschen herabwürdigen oder beleidigen.

Lokalaugenschein

Lokalaugenschein im 16. Bezirk: Delikatessen & Confesserie Ottendorfer heißt ein kleines Cafe mit Partyservice. Im Internet stellt das „bodenständige Lebensmittelgeschäft“ in Aussicht, „die individuellen Wünsche der Kunden gemeinsam umzusetzen.“ Durch die Scheiben dringt wenig Licht. Das Fenster wird als Auslage von Feinkost-Artikeln, Wurstplatten-Sujets und Zeitungsausschnitten benötigt. In der neon-beleuchteten Vitrine gegenüber dem Eingang stechen Wurstsemmeln und in Zuckerglasur getauchte Backwerke ins Auge. Ein „Mohr im Hemd“ ist nicht dabei.

Frau Andrea bedient ein paar Stammgäste aus der Umgebung, für drei, vier Fragen kann sie sich Zeit nehmen – nur im eigenen Namen, nicht fürs Geschäft, betont sie: „Mohr ist doch kein Schimpfwort, genauso wie Nxxxx, haben die keine andere Sorgen?“. Ob Wirtschaftskammer, Regierung oder Parlament gemeint sind, ist nicht eindeutig. Die Gäste, die alle in Hörweite sitzen, spenden Beifall: „Arbeitslose, die Wirtschaftskrise, das sind doch viel dringendere Themen“. Frau Andrea deutet auf eine Mittvierzigerin mit Zigarette beim Eingang: „Sie muss vielleicht ihren Hundesalon zusperren.“

Backwaren mir Zuckerguss
Backwaren mir Zuckerguss

Tabuthema Rassismus

Rassismus ist hierzulande ein Tabu-Thema. Kaum eine Frage wird derart obsessiv ausgespart. Viele Bürger/innen leben in einer „Parallelgesellschaft“, in der sie sich kaum mit der Sichtweise von Minderheiten auseinandersetzen müssen. Dabei liegt Österreich bei der Ablehnung von Fremden international an der Spitze, wie zuletzt die europäischen Wertestudie 2011 belegt. Antirassist/innen stecken in der Zwickmühle. Um sich Gehör zu verschaffen, müssen sie auf den Tisch hauen. Verständnis wecken sie aber eher dadurch, dass sie Geduld und Wertschätzung aufbringen.

Doch auch der Wirtschaftskammer-Funktionär ringt mit einem Dilemma. Anschaffen kann er den Mitgliedern nichts; er muss sie überzeugen. Die Mitglieder zahlen Pflichtbeiträge, dafür erwarten sie, dass ihre Interessen bestmöglich vertreten werden. Genau das versucht Liska, wenn er hervorhebt, Gaststätten könnten kein Interesse daran haben, ihren Kund/innen auf die Zehen zu steigen: „Wir sind eine Branche, die sich der Gastfreundschaft verschrieben hat. Wir bemühen uns um das Wohl der Gäste, weil wir wollen, dass sie wieder kommen.“ Ihm persönlich sei erst beim Besuch der Ausstellung in der vollen Tragweite bewusst geworden, wie verletzend der Begriff Mohr für Menschen schwarzer Hautfarbe sein müsse: „Angelo Soliman wurde einfach nicht als Mensch gesehen, nach seinem Tod hat man ihn ausgestopft und ausgestellt. Wie ein Trophäe.“

Wie vermitteln?

Liska weiss, dass sein E-Mail nicht das AHA-Erlebnis bringen wird, das er beim Besuch der Soliman-Ausstellung hatte. „Gastwirte sind mit dem Begriff Mohr im Hemd aufgewachsen, erhalten ihn unter dieser Bezeichnung beim Großhändler und ihre Gäste verlangen danach. Es wird Zeit brauchen, bis sich etwas ändert.“ Mit erhobenem Zeigefinger komme man nicht weit: „Der Begriff Rassismus enthält immer auch einen Vorwurf. Da machen manche leider zu, die eigentlich ein offenes Ohr für den Hinweis hätten, dass Worte auch unabsichtlich beleidigen.“

Ein Anruf im renommierten Wiener Ring-Café Landtmann. Auch hier führt man keinen „Mohr im Hemd“, allerdings „nicht aus diesen Gründen“, wie Betreiber Berndt Querfeld gleich betont. Dass Rassismus nicht sein Lieblingsthema ist, kann er kaum verhehlen: „Wenn das unsere größten Sorgen wären, würd‘s uns gut gehen. Ich habe schon Verständnis, dass man in einer Touristenstadt wie Wien darauf achtet, niemanden zu beleidigen, aber allen alles Recht getan ist eine Kunst, die niemand kann.“

Eine Mühsame Überzeugungsarbeit ….

Viele Schwarze haben im Jahr 2012 keine Lust mehr, Aufklärungsarbeit zu leisten und ihren österreichischen Landsleuten stets aufs Neue geduldig und nachsichtig zu erklären, worum es bei Rassismus geht. „Ich bin es Leid, geschichtslosen Mitbürger/innen die koloniale Tradition und verdrängte Sklaverei-Vergangenheit Österreichs zu erklären“, sagt eine Aktivistin, die sich aus der antirassistischen Szene zurück gezogen hat.

Seit mindestens zwanzig Jahren plagen sich Initiativen ab, die Wahrnehmung für den ganz alltäglichen Rassismus zu schärfen. Im Mozartjahr 2006 nahmen sich dunkelhäutige Wiener/innen nichts weniger vor, als „eine schwarze Geschichtsschreibung“ auf den Weg zu bringen. Die jungen Leute – Student/innen und Aktivist/innen – wollten einen Schlussstrich unter „die Verwischung und Auslöschung von Schwarzen“ in der österreichischen Geschichtsschreibung ziehen. In dem Projekt machten sie Schwarze wie Soliman und seine Tochter Josefine „als Träger/innen von Geschichte sichtbar“: Sie sollten nicht mehr als Ausstellungsstücke dienen, sondern als eigenständig handelnde Persönlichkeiten dargestellt werden. Die Forscher/innen zeichneten nach, wie Josefine erstritt, dass ihr ausgestopfter Vater nach zehn Jahren aus dem K. K. Hof-Naturalienkabinett geholt und würdig bestattet wurde.

… beginnt langsam zu greifen.

Trotz aller Bemühungen sind Speisebezeichnungen mit kolonialem Zungenschlag bis heute in Verwendung. Zwar findet das N-Wort, das früher vielfach dunkles Bier, Nussschokolade oder Schokoküsse bezeichnete, heute nur noch vereinzelte Anhänger/innen. „Mohrenkopf“ oder „Mohr im Hemd“ sind dagegen noch landesweit geläufig.

Langsam greift die Aufklärungsarbeit auch hier. Als Eskimo allen Ernstes noch im Jahr 2009 ein Eis namens „Mohr im Hemd“ auf den Markt brachte, sah sich die Chefetage bald mit heftigen Reaktionen konfrontiert. Der Konzern gab sich überrascht, lenkte aber schließlich ein. Das Bechereis wurde zwar verkauft, doch  die Werbekampagne – „I will mohr“ – eingestampft. Bleibt die Frage, wie einem internationalen Konzern wie Unilever, der seine Produkte bis zur Marktreife monatelang abtestet, so ein kostspieliger Fauxpas unterlaufen konnte. Hatte man noch nie von der Auseinandersetzung um den Begriff gehört?

Über Rassismus wird in Österreich nicht gern gesprochen. Wagt es jemand, klar Position zu beziehen, muss er damit rechnen, attackiert zu werden. Das wird irgendwann fast allen zuviel. Als der Radiosender FM4 über den Unmut berichtete, den Eskimos Tiefkühl-Neuheit ausgelöst hatte, lehnten viele Mitglieder der Schwarzen Community eine Stellungnahme ab. Der Journalist Simon Inou exponierte sich – und erhielt dafür sogar Morddrohungen. Die Zeitung Heute ließ ihn in den Leserspalten als Nestbeschmutzer verhöhnen.

Schon viel erreicht

Inou gehört zu den Unermüdlichen, denen es auch nach 15 Jahren nicht zu blöd geworden ist, sich für Wortmeldungen anfeinden zu lassen: “Ich lerne auch etwas dabei. Man muss aber sehr hartnäckig sein. Die jetzige Offensive der Wirtschaftskammer zum Beispiel ist sehr wichtig, aber sie kommt sechs Jahre nach dem Mozartjahr.“

Ein letzter, kurzer Ausflug in die Gastronomie: Im Wiener Kaffeehaus „Korb“ findet sich hin und wieder noch ein „Zigeunerschnitzel“ im Tagesangebot. Herr Kapfenberger sagt: „Um Gottes Willen, natürlich werden wir uns die Empfehlung ansehen. Wir wollen doch nicht unsere Gäste vor den Kopf stoßen.“ Die Betreiber/innen des Restaurant Wild im 3. Bezirk haben nach eigenem Bekunden die Diskussion hinter sich gebracht: „Es kann einem immer ein Fehler unterlaufen, aber einen Mohr im Hemd finden Sie bei uns nicht mehr. Wir haben uns schon lange von diesem Begriff verabschiedet.“

Schwarze und Weiße Antirassist/innen hätten auch in Österreich schon gemeinsam viel erreicht, sagt der gebürtige Kameruner Simon Inou. Auch wenn es nicht immer auf einen Schlag gehe. Seit Jahren kritisieren Inou und seine Mitstreiter/innen das Mohren-Logo der Kaffee-Rösterei Julius Meinl – mit dem Effekt, dass es sukzessive kleiner gedruckt werde, „und mittlerweile in den Farben rot und weiß“, wie er schmunzelnd registriert. Gesprächsbereitschaft kann man sich von Inou immer erwarten, inhaltliche Zugeständnisse nicht: „Wir dürfen die Probleme nicht unter den Teppich kehren und müssen Rassismus beim Namen nennen. Was nicht am Tisch liegt, kann nicht bearbeitet werden.“ Dafür müsse man sich manchmal eben auch unbeliebt machen. Als Journalist weiß Inou zu gut, dass Konflikte mediale Aufmerksamkeit erregen. Ohne Eskalierung der Debatte würde über die Befindlichkeit von schwarzen Menschen nicht berichtet, sprich: Sie käme in der Öffentlichkeit gar nicht vor.

Vom rechten Maß

Das rechte Maß zwischen wertschätzender Überzeugungsarbeit und notwendiger Konfliktbereitschaft ist nicht immer leicht zu finden. Alexander Pollak von SOS Mitmensch kann davon ein Lied singen. Anfang Jänner schlug er dem Gastronomie-Verband eine gemeinsame Kampagne gegen rassistische Speisebezeichnungen vor. Der Verband lehnte ab und beschied höflich, aber bestimmt, man sehe „keinen unmittelbaren Handlungsbedarf“. Pollak ärgerte sich und überlegte kurz, „ob ich ein pampiges E-Mail zurückschicken soll.“ Dann entschied er sich doch für die ausgestreckte Hand und lud Gernot Liska in die Soliman-Ausstellung ins Wien Museum ein. Es hat sich ausgezahlt – dieses Mal.

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Ursprünglich erschienen in mo – Magazin für Menschenrechte von SOS Mitmensch, # 26, 1/2012.

2 Gedanken zu „Die Faust reichen“

  1. Ich glaub ich habs:

    Anscheinend übersetzen englische Medien „gipsy“ mit „Zigeuner“, deutschsprachige Medien mit „… Sinti u Roma“. Hm.

  2. Hi,

    wie ist denn das in den USA und dem Begriff „gipsy“? In den USA wird ja – auch sprachlich und zumindest offiziell – sehr drauf geachtet, dass niemand diskriminiert wird.

    Und doch lese ich immer wieder „gipsy“, meist im Zusammenhang mit Mode und/oder Musik. Grade in den ach so „korrekten“ USA versteh ich das nicht.

    Die offizielle Übersetzung für „gipsy“ lautet übrigens immer noch „Zigeuner“.

    Liebe Grüsse,
    Christian

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