Demokratische Selbstverteidigung

Eine wehrhafte Demokratie wird diesen Landfriedensbruch-Paragraphen nicht länger hinnehmen. Er bietet die Grundlage für eine Aushöhlung des Versammlungsrechts. Grundrecht muss „provokationsfest“ reguliert sein.

Einsatzeinheiten der Wiener Polizei schieben Gegendemonstrantinnen weg, die sich dem "Marsch der Familie" in den Weg stellten. (15. Juni, 2014)
Einsatzeinheiten der Wiener Polizei schieben Gegendemonstrantinnen weg, die sich dem "Marsch der Familie" in den Weg stellten. (15. Juni, 2014) BY 2.0 phs

Durch die Verurteilung des Josef S. flammt die Diskussion um den Landfriedensbruch wieder auf. Zivilgesellschaftliche Organisationen problematisieren den Paragraphen schon länger – exemplarisch die Interessenvertretung der Gemeinnützigen in Österreich ((Der Zivilgesellschaftsindex gibt anhand von 100 Indikatoren Auskunft über gesetzliche und faktische Rahmenbedingungen für die Entfaltung einer freien und lebendigen Zivilgesellschaft. In dieser Studie wird die exzessive Anwendung des Landfriedensbruchs kritisiert)).

Landfriedensbruch (§274 StGB) stellt die Teilnahme an einer Menschenmenge unter Strafe, unter deren Einfluss ein Mord, Totschlag, Körperverletzung oder eine Sachbeschädigung begangen wird. Für eine Verurteilung ist die direkte Beteiligung an den genannten Gewaltdelikten nicht notwendig; es genügt, Teil dieser Menschenmenge zu sein.

Das Tatbild kennt eine innere Seite (den Vorsatz) und eine äussere Seite; von einer Menschenmenge geteilte Handlungen oder Verhaltensweisen, an denen die Absicht zu Gewalttaten von außen festgemacht werden kann. Ähnlich wie bei den sogenannten Organisationsdelikten gegen terroristische und mafiose Verbindung ist das gerichtliche Ermessen, wer als Teil dieses Personenverbands beurteilt wird, durch einen hohen Interpretationsspielraum gekennzeichnet. Das ermöglicht Repression gegen politisch unliebsame Gruppen.

Unmögliche Abgrenzung

Wie sieht diese Abgrenzung in der Praxis aus? Bei der NoWKR-Demo gehen Polizei und Staatsanwaltschaft offenbar davon aus, dass jene Demonstrantinnen ((Männer werden mitgemeint )), die im geschlossenen Block hinter dem Transparent „Unseren Hass könnt ihr haben“ marschierten, sich freiwillig einer solchen Menschenmenge angeschlossen hatten – eine Menge, so vermutlich die Staatsanwaltschaft, die durch Transparente und Slogans zum Ausdruck brachte, dass sie auf die Begehung von Gewaltdelikten ausgerichtet sei. So ließe sich erklären, dass bei rund vierzig Randaliererinnen und insgesamt sechs- bis siebentausend Demonstrantinnen ausgerechnet 517 Anzeigen wegen Landfriedensbruch (hauptsächlich gegen Unbekannt) erstattet wurden.

Nun könnte man darüber streiten, ob dieser Slogan bereits ein Bekenntnis zu Gewaltdelikten darstellt. Allerdings ist dies gar nicht nötig, um anschaulich zu machen, dass Bestimmung und Abgrenzung der gewaltbereiten Menge gerade in der Unübersichtlichkeit einer esklierenden Demonstration ein hoffnungsloses Unterfangen darstellen: Wie soll ein Gericht anhand von Äusserlichkeiten seriös nachvollziehen, welche Person zu einem bestimmten Zeitpunkt noch Teil der gewaltbereiten Menge ist und welche Person nicht mehr?

Die Gesetzgeberin wollte den Gerichten offensichtlich Spielraum lassen und keine näheren Kriterien festlegen, wie es in der Schweiz oder in Deutschland der Fall ist. Das bürdet dem Gericht die unmögliche Aufgabe auf, eine Abgrenzung vorzunehmen. Mit fatalen Folgen: Richter Thomas Spreitzer löst das Problem so, indem er es für lebensfremd erklärt, „dass da jemand mitgeht, der damit [Gewalt] nichts zu tun haben will.“ ((Live-Ticker des Standard.at)) Josef F. konnte bekanntlich nicht mit Sachbeweisen nachgewiesen werden, dass er zuvor im Block ging und vermummt war. Er stand während der Zusammenstöße an einem Platz, an dem sich auch Presseleute und Beobachterinnen postiert hatten. ((Vielleicht auch ein Erklärung, warum das Gericht bei dürftiger Beweislage wegen Körperverletzung verurteilte.))

Wenn diese Rechtsansicht nicht bald von der Justiz oder der Gesetzgebung korrigiert wird, hat das fatale demokratie-politische Konsequenzen: Jede, die nicht mit dem Gesetz in Konflikt kommen will, muss eine Kundgebung verlassen, sobald es zu Gewaltdelikten kommt. Nach dieser Rechtsansicht hätten Provokateure ein leichtes Spiel, das Versammlungsrecht auszuhebeln. Man denke etwa an die systematische Störungen bei Wahlkundgebungen durch Provokateurinnen einer gegnerischen Partei.

Staat muss Versammlungsfreiheit schützen

Österreich ist aufgrund internationaler Vereinbarungen verpflichtet, diesen Missstand zu beheben. Die Versammlungsfreiheit gilt als eine für die Demokratie besonders zentrale Freiheit. Sie stellt sicher, dass alle Menschen ihre Meinung zum Ausdruck bringen können, auch wenn ihnen beispielsweise der Zugang zu Medienöffentlichkeit verwehrt ist ((Guidelines on Freedom of Peacefull Assebmly, OSZE, Explenatory Notes Nr. 2)). Staaten sollen das Versammlungsrecht daher nur wenn unbedingt notwendig gesetzlich Einschränken ((Guidelines on Freedom of Peacefull Assebmly, OSZE, 2.4)).

Gleichzeitig stellen UNO und OSZE mit Hinweis auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshof fest, dass „niemand das Recht auf friedliche Versammlung durch vereinzelte Gewaltakte im Verlaufe einer Kundgebung verliert, solange sie selbst in ihren Absichten oder Handlungen friedlich bleibt“. ((Eigene Übersetzung. Original: „The court states that an individual does not cease to enjoy the right to peaceful assembly as a result of sporadic violence or other punishable acts committed by others in the course of the demonstration, if the individual in question remains peaceful in his or her own intentions or behavior.“ Eigne Übersetzung. A/HRC/20/27, Report of the Special Rapporteur on the right to freedom of peaceful assembly and association, Absatz 25. Fall Ziliberberg vs. Moldova)) Ausserdem haben Staaten die „aktive Pflicht, Teilnehmerinnen von Kundgebungen vor Agents Provokateurs zu schützen“. ((A/HRC/20/27, Report of the Special Rapporteur on the right to freedom of peaceful assembly and association, Absatz 33))

Die aktuelle Diskussion verspricht eine Reform der Bestimmung in absehbarer Zeit. Die bisherigen Äußerungen von Strafrechts– und Verfassungsexpertinnen gehen eindeutig in diese Richtung. Selbst FPÖ und ÖVP haben eine Korrektur in Aussicht gestellt. Wie allfällige Korrekturen aussehen werden, bleibt abzuwarten.

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