Bereitschaftseinheit

Jungpolizisten, die das Handwerk beim Vertreiben von Bettlerinnen und Straßendealerinnen lernen, sind für Übergriffe besonders anfällig. Hintergründe zur Wiener Bereitschaftseinheit.

Landes-Vize-Polizeipräsident von Wien, Karl Mahrer Copyright: BMI/Egon Weissheimer
Landes-Vize-Polizeipräsident von Wien, Karl Mahrer. Copyright: BMI/Egon Weissheimer

In den letzten Wochen haben drei schwerere Übergriffsvorwürfe gegen die Wiener Polizei mediale Aufmerksamkeit erlangt. Thema berichtete von einem Übergriff gegen eine alevitische Familie beim Silvesterpfad (([embedyt]https://www.youtube.com/watch?v=VnW6JaceITo[/embedyt])). Der Falter brachte den Fall einer Unternehmerin, die sich bei einer Begegnung mit der Polizei an der Schwedenplatz-Tankstelle beträchtliche Blessuren und obendrauf eine Widerstands-Anzeige holte. Und DerStandard.at veröffentlichte ein Video, das zeigt wie ein Polizist einem Passanten rechtswidrig das Handy abnimmt, um ihn am dokumentieren einer Amtshandlung zu hindern.

Auffallend: Bei allen drei Vorfällen agieren Bereitschaftseinheiten der Wiener Polizei. Und das ist vermutlich kein Zufall. Jungpolizistinnen ((Männer werden mit gemeint)), die das Handwerk beim Vertreiben von Bettlerinnen und Straßendealerinnen lernen, sind für Übergriffe besonders anfällig.

Die Wiener Bereitschaftseinheit (BE) wurde im November 2012 unter der Federführung von Polizei-Vize Karl Mahrer gegründet. Die BE besteht derzeit aus 170 Jungpolizistinnen, die nach ihrer Ausbildung für sechs Monate in der Rossauer Kaserne stationiert werden ((2012 wurde mit 100 Beamtinnen gestartet, im Oktober 2013 sollen es 120 gewesen sein, für Ende 2014 wurde mit 200 Beamtinnen kalkuliert, der Ist-Stand von 170 wurde hier angegeben.)). Damit stehen der Polizeiführung an Wochentagen zwischen 6 und 22 Uhr ein Kontingent von 40 – 50 Beamtinnen ((Zahlen: Stand bei der Gründung)) für Schwerpunktaktionen, den übergreifenden Streifendienst, Demonstrationen sowie Rettungs- und Suchaktion zur Verfügung – ohne ständig die Polizeiinspektionen personell zu belasten. Allerdings: die Bereitschaftseinheiten stehen am Beginn ihrer Karriere und bringen für den Dauereinsatz an den ordnungspolizeilichen Brennpunkten der Stadt nicht viel Berufserfahrung mit.

Powerplay

General Mahrer nennt seine Truppe „die Powerplayer der Wiener Polizei“. Durch „uniformierte Präsenz an Hot-Spots“ könne Kriminalität wirksam verhindert werden, erklärte er anlässlich deren Einrichtung. Entsprechend „sportlich“ fällt die Adjustierung aus: Die Polizistinnen tragen Barett statt Tellerkappe und die Hosenbeine des Einsatz-Overalls stecken in Springerstiefeln. So patrouilliert die militärisch organisierte Einheit in Gruppen von 6 Polizistinnen und hält Ausschau nach Verdächtigen. Praktisch werden die Jungpolizistinnen vor allem beim Streifendienst in der U-Bahn und bei Verkehrskontrollen eingesetzt. Bis Anfang 2015 wurden nach Angaben des LPD Wien 5.000 Verhaftungen und schier unvorstellbare 160.000 Identitätsfeststellungen durchgeführt.

Formal ist die BE eine Sondereinheit, denn organisatorisch ist sie nicht in die räumliche Struktur der Polizeiinspektionen integriert. Eine spezielle Ausbildung oder gar eine Aufnahmeprüfung durchlaufen ihre Mitglieder jedoch nicht. Im Gegenteil: die sechs Monate Dienst werden als Form der Personalentwicklung und Teil der Ausbildung gesehen. „Die Beamtinnen und Beamten lernen binnen kurzer Zeit das gesamte Spektrum der Polizeiarbeit kennen“, sagt General Mahrer. Zwischen den Jungpolizistinnen und den Führungskräften vom Stammpersonal solle es „zu einem intensiven Wissenstransfer kommen“. Die Kommandantinnen der Gruppen verfügen laut Konzept über eine Chargen-Ausbildung (E2a) oder sind zumindest erfahrenere Beamtinnen ((Zum Ausbildungsgrad der Gruppenkommandantinnen siehe hier )).

Kindersoldaten

Gestern hat Amnesty-Chef Heinz Patzelt gegenüber Medien die Abschaffung der Bereitschaftseinheiten gefordert. Junge Polizistinnen würden in der BE durch die durchwegs konflikt- und risikoreichen Einsätze „versaut“.

Auch in der Polizei stößt das Modell auf Kritik, wenn auch nicht öffentlich. Die Sozialisation in dieser Spezialeinheit verankere ein problematisches Berufsbild, bedauert ein Polizeiausbildner des Innenministeriums. Er nennt die BE „Kindersoldaten“. Früher seien die Beamtinnen nach ihrer Ausbildung auf den Inspektionen in ein soziales Netz erfahrener Kolleginnen und Bürgerinnen des Rayons eingebettet gewesen. Dort hätten sie Polizeiarbeit durch Reden gelernt, was im überwiegenden Polizeialltag das passende Werkzeug sei.

„Nun patrouillieren die Jungen im Pulk durch die Stadt und vertreiben Straßendealer und Bettler“, so der Ausbildner im Gespräch. Das konterkariere die Fortschritte, die in den letzen Jahren in der Ausbildung gemacht worden seien. Den jungen Polizistinnen werde vermittelt: „Vergesst was ihr gelernt habt. Hier seht ihr, wie Polizeiarbeit in Wirklichkeit funktioniert.“ Dabei sei in den vergangenen Jahren sehr viel Energie in die Reform der Rekrutierungs- und Ausbildungsprozesse geflossen, um Rambos auszusieben und soziale und kommunikative Kompetenzen zu fördern.

Die Vorfälle der letzten Wochen scheinen der Kritik Recht zu geben.

Bürgerinnen- vs. Königspolizei

Hinter der Kritik steht eine Auseinandersetzung um das Selbstverständnis der Polizei. Das modernere Modell ist die „Bürgerinnenpolizei“. ((Zu Bürgerinnen vs Königspolizei zum Beispiel: Winter Martin: Police Philosophy and Protest Policing in the Federal Republic of Germany, 1960-1990. in: Della Porta/Reiter (eds.): Policing Protest, University of Minnesota, 1998.))  Sie legitimiert sich durch den Dienst an der Bevölkerung. Es ist eine zivile Polizei – steht in der angelsächsischen Tradition und ist personifiziert im britischen „Bobby“. Lokal verankerte Beamtinnen kennen die Nachbarschaft durch persönlichen Kontakt im Streifendienst zu Fuß. Viele Schwierigkeiten können so präventiv oder informell bearbeitet werden, lange vor das Strafrecht ins Spiel kommt. Kriminal- und Staatspolizei pflegen Kontakte ins Milieu und kennen ihre Pappenheimerinnen.

Das traditionellere Modell wird in der Polizeiliteratur „Königspolizei“ genannt; im Vordergrund steht der Schutz der bestehenden Ordnung vor der Bevölkerung. Dieses militärisch organisierte Polizeisystem braucht keine sozial und kommunikativ kompetenten Beamtinnen, weil sie nicht auf Prävention setzt, sondern auf Repression. Die meist überregional organisierten Einheiten – Paradebeispiel ist die französische Gendarmerie – kommen zum Einsatz, wenn es gilt, die Symptome bereits virulenter gesellschaftlicher Konflikte zu unterdrücken.

Die größte Menschenrechtsorganisation ?

Entwickelt wurden die Wiener Bereitschaftseinheite von Oberstleutnant Werner Granig, der in der Wiener Polizei Sondereinsätze plant und leitet. Davor hatten vor allem AUF-Gewerkschafter jahrelang für ein solches Konzept lobbyiert. Mahrer dürfte dann mit der Umsetzung mehrere Motive verfolgt haben. Erstens kann er den Boulevardmedien am laufenden Band Schwerpunktaktionen und Zugriffe im Drogenmilieu präsentieren. Bei den Sicherheitstagen 2015 nannte der Vizepräsident die Bedienung des „subjektiven Sicherheitsgefühls“ dann auch ausdrücklich als Aufgabe der Wiener Polizei.

Zweitens muss er bei Schwerpunktaktionen nicht mehr auf die Personaldecke in den Polizeiinspektionen Rücksicht nehmen. Und drittens konnte mit der BE auch eine langjährige Forderung der Freiheitlichen Personalvertreter umgesetzt werden. Womöglich eine pragmatische Entscheidung der Machtbalance. Denn andererseits implementiert Mahrer auch zielstrebig Elemente der Bürgerinnenpolizei, etwa Kontaktbeamtinnen für Gemeindebauten, oder Zusammenarbeit mit der Wiener Sucht- und Drogenkoordination.

Konrad Kogler, Generaldirektor für die Öffentliche Sicherheit, hat der Polizei das Ziel gesteckt, die größte Menschenrechtsorganisation zu werden. Viele Bemühungen der letzten Jahre im Bereich der Ausbildung deuten darauf hin, dass es wesentlichen Teilen der Polizei mit dieser Ansage durchaus ernst ist.  Doch die Wiener Polizeiführung muss sich die Frage gefallen lassen, ob sie mit der Bereitschaftseinheit nicht alle Bemühungen zunichte macht, die Organisation durch eine moderne Ausbildung längerfristig von Grund auf zu modernisieren.

2 Gedanken zu „Bereitschaftseinheit“

  1. Ich würde auch 6 Jahre ausgebildet, das heißt aber nicht, dass ich nach meiner Ausbildung raus gehen kann und sofort und Kunden betreuen kann weil mir die Praxis fehlt. zwischen wissen und dem gewusste anwenden, liegen einfach Welten.

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