5 Kniffe für Ameisen-, Fisch,- Netzwerk-, Vogel-, Schwarm- oder Bewegungs-Campaignerinnen

Im Frühjahr hat die Armutskonferenz einen Band über Commons heraus gebracht: „Was allen gehört – Neue Perspektiven in der Armutsbekämpfung“. Ich habe diesen Text beigesteuert, den ich bei verschiedenen Gelegenheiten als Vortrag halte. Der Beitrag fragt, wie sich Organisationen und (soziale) Netzwerke unterscheiden und was das für die Umsetzung gesellschaftspolitischer Anliegen bedeutet.

Wie entscheidet ein Fischschwarm? Eine maßgebende Frage für Netzwerk-Campaignerinnen. © Dejan Sarman | Dreamstime.com

Ein Kaffee-Automat ist eine triviale Maschine. Die Schläuche und Schaltkreise in seinem Inneren mögen für die Laiin ((Der Einfachheit halber wird im Text nur die weibliche Form verwendet)) undurchschaubar sein. Doch der Apparat gehorcht einer linearen Logik, wie wir sie von den Naturwissenschaften her kennen. Eine triviale Maschine ist vorhersehbar, weil Input und Output direkt zusammen hängen. Werfe ich oben eine Münze ein und drücke die Cappuccino-Taste, so kann ich von dem Gerät eine bestimmte Reaktion erwarten. Und zwar genau eine Reaktion: der Becher füllt sich mit Cappuccino. Werfe ich ausreichend Geld ein und bekomme keine Schaumkrone, so betrachte ich den Apparat als defekt und rufe die Servicetechnikerin. Die Unterscheidung von Systemen in triviale und nicht-triviale Maschinen stammt vom Kybernetiker Heinz von Foerster, der damit die verschiedenen Funktionsweisen von linearen und nicht-linearen Systemen verdeutlicht hat.

Das Internet, soziale Bewegungen oder soziale Medien sind nicht-triviale Systeme. Sie lassen sich nicht direkt steuern. Eine Eigenkomplexität zwischen Input und Output beeinflusst ihre Wirkungsweise und macht das Verhalten relativ unvorhersehbar. Wie viel Zuspruch beispielsweise eine Petition gegen die Abschiebungen eines Flüchtlings auf einem Blog erhält, hängt von einer erklecklichen Zahl unbestimmbarer Faktoren ab. Vielleicht sieht eine einflussreiche Journalistin den Eintrag auf Facebook. Sie hat bereits in der Vorwoche über den Fall geschrieben und die Geschichte ist ihr persönlich sehr nahe gegangen. Jetzt schreibt sie einen Artikel über die Petition, was dem Anliegen sehr viel Zulauf bringt.

Die meisten Organisationen hingegen, die sich für gesellschaftspolitische Anliegen einsetzen, sind nach dem Linienmodell aufgebaut, das auf den französischen Verwaltungswissenschafter Henri Fayol zurück geht. Das Konzept fußt auf naturwissenschaftlichem Denken und überträgt die lineare Steuerung der trivialen Maschine auf Institutionen. Im Alltagsverständnis gilt das Linienmodell als Normalfall der Organisation. Ganz oben an der Spitze dieses pyramidenförmigen Gebildes sitzt die Führung, die nach unten Aufträge erteilt. Jede Stelle ist genau einer einzigen vorgesetzten Instanz unterstellt. Die Mitarbeiterinnen haben sich durch Arbeitsverträge verpflichtet, die Anweisungen ihrer Vorgesetzten zu befolgen und erhalten dafür eine Entlohnung. Auch wenn mehrere Hierarchieebenen überbrückt werden müssen, können umfangreiche Vorhaben von oben angeordnet werden. Über Weisungsketten wird das Ganze in immer kleinere Teilaufträge zerlegt und umgesetzt. Die unteren Ebenen berichten ihrer Chefin über den Fortgang des Projekts, bei Säumigkeit drohen disziplinäre Maßnahmen bis hin zur Kündigung. Das Wesen dieses Konzeptes ist eine straffe Organisation, in der Kompetenzüberschneidungen vermieden und die Umsetzung von getroffenen Entscheidungen gut verfolgt und kontrolliert werden können.

Auch der klassische Kampagnen-Begriff steht in dieser Tradition linearer Wirkungssysteme. Eine durchschnittliche Definition könnte lauten: Eine Kampagne ist der geplante und koordinierte Einsatz von Ressourcen zur Erreichung eines Zieles durch Interventionen in Form von Kommunikation und Handlungen. In einer Kampagnen-Strategie wird dabei das Ziel in Teilziele zerlegt und die Ressourcen werden für Maßnahmen verplant, mit denen diese Teilziele erreicht werden sollen. Selbstverständlich sollten nur Ressourcen einkalkuliert werden, die auch tatsächlich zur Verfügung stehen. In der Logik der Linienorganisation sind das (Arbeits-)Ressourcen in der Linie, d.h. Arbeitskraft die durch Entlohnung und Disziplinierung gesteuert und abgerufen werden kann. Deshalb hat das Planungs- und Steuerungsmodell der trivialen Maschine massive Einschränkungen. Es ist inzwischen schon eine Binsenweisheit, dass die Eigenmotivation der Mitarbeiterinnen in solchen Organisationen leidet. Aber auch Wissen und Kreativität außerhalb definierter Kompetenzen liegen brach. Ganz zu schweigen von potentiellen Ressourcen außerhalb der Linie. Mit der Mobilisierung von Ideen, Arbeitszeit und Wissen von Ehrenamtlichen oder systematischem Feedback von Außenstehenden haben Linienorganisationen große Schwierigkeiten, weil ihr Instrumentarium dafür nicht geeignet ist. Der Erfolg einer Kampagne hängt aber nicht nur vom möglichst zielgerichteten Einsatz der vorhandenen Ressourcen ab, sondern auch davon, wie viel Ressourcen mobilisiert werden können (Ressourcen-Allokation), was gerade auch in Zeiten knapper Budgets eine entscheidende Frage  ist.

Das macht nun soziale Medien interessant für traditionelle Organisationen. Viele NGOs haben innerhalb sozialer Bewegungen bereits Erfahrungen mit netzwerkförmiger Organisierung sammeln können. Die Verheißung von Web 2.0 – durch virale Kampagnen eine praktisch unbegrenzte Zahl an Mitstreiterinnen zu gewinnen – hat in jüngster Zeit auch Linienorganisationen verstärkt dazu veranlasst, sich mit Netzwerken zu beschäftigen. Allerdings erfordert es einiges Umdenken. Netzwerke sind lose, flüchtig und unhierarchisch. So schnell sich unzählige Interessierte um ein Anliegen scharren, so schnell sind sie auch wieder weg. In typischen Netzwerken gibt es keine fixen Zuständigkeiten und keine allgemein anerkannten Repräsentantinnen. Machtzentren organisieren sich um mehrere dezentrale Knotenpunkte, deren Bedeutung aus unmittelbarer Nützlichkeit gespeist wird: Wer viel Nützliches in das Netzwerk einbringt, wird öfter adressiert und kann sich zu einem bedeutenden Knotenpunkt entwickeln. Denn letztlich sind Netzwerke Austauschbeziehungen, die durch eine Vielzahl einzelner Kooperationen gekennzeichnet sind – ohne dass sich dadurch Ansprüche auf weitere Kooperationen ableiten ließen. Netzwerke sind wie Märkte, wenn man so will. Auch die Entstehung und Fortdauer von Netzwerken hängen von unmittelbarer Nutzbarkeit ab. Im Gegensatz zur Organisation, die auf Stabilität und Dauer (letztlich auch auf Selbsterhalt) ausgelegt ist und die dafür einen ziemlichen bürokratischen Aufwand betreibt, steht bei Netzwerken die Funktionalität im Vordergrund: solange die Kooperationen nützlich sind, setzen sie sich fort, wenn sie ihren Zweck nicht mehr erfüllen, finden sie ein Ende. Netzwerke sind daher auch nicht gezwungen, Abläufe und Rollen zu definieren; etwa wer Mitglied ist oder wer das Netzwerk nach außen vertritt, wie Information verteilt, Entscheidungen getroffen und durchgesetzt oder Führung organisiert wird. Die Zuweisung von Aufgaben und die Definition von Verfahren unterliegen in Netzwerken ständiger Aushandlung. Wenn aber keine Entscheidungsverfahren und damit keine prozeduralen Hürden festgeschrieben sind, so können diese auch mühelos wieder geändert werden. Das führt übrigens dazu, dass in Zusammenkünften von sozialen Bewegungen die Festlegung der Entscheidungsprozesse selbst sehr viel Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen.

Linienorganisationen haben mit netzwerkartiger Organisierung Schwierigkeiten, da das Steuerungsmodell von Anweisung, Kontrolle und Sanktion ohne definierte Abläufe und Verantwortlichkeiten ins Leere läuft. Dennoch ist das Interesse groß, den schier unerschöpflichen Pool von Mitstreiterinnen, die sich im Internet tummeln für die eigenen Anliegen zu gewinnen. Politische Parteien, Unternehmen und größere NGOs investieren mittlerweile auch sehr viel Geld in Social Media. Mit unterschiedlichem Erfolg. Denn die Ressourcen von Netzwerken lassen sich nicht durch Anordnung und Disziplinierung mobilisieren. In welche Richtung sich ein Fischschwarm fortbewegt, wird nicht von einer Oberfisch zentral vorgegeben, sondern ist das Ergebnis von Kommunikation zwischen vielen Fischen. Der Biologe Jens Krause vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin hat mit einem künstlichen Roboterfisch experimentiert, um herauszufinden, wie in einem Schwarm Entscheidungen getroffen werden. Fünf bis zehn Prozent der Fische eines Schwarms sind nach seinen Beobachtungen daran beteiligt, die Bewegungsrichtung der Formation zu bestimmen. Wobei sich prinzipiell jeder Fisch an dieser Führungsarbeit beteiligen kann. Im Experiment sollte der Roboterfisch die echten Fische durch besonders entschlossenes Verhalten von einer Nahrungsquelle weglocken. Dies gelang dann, wenn der Schwarm nur aus drei Fischen bestand. Die Gruppe orientierte sich am dominanten Verhalten des künstlichen Fischs und folgte. Bei einer Fischgruppe von 10 und mehr Tieren konnte sich der Roboterfisch nicht durchsetzen. Die anderen Fische entschieden kollektiv, sich der Manipulation zu widersetzen und bei der Nahrungsquelle zu bleiben. Erst wenn eine kritische Masse von Fischen ein bestimmtes Verhalten ausführt, folgt auch der Rest. Wie gelingt es also, möglichst viele Fische davon zu überzeugen, sich für ein Anliegen zu entscheiden und eine Zeitlang mit mir zu schwimmen? Was kann ich tun, um mein Kampagnenziel möglichst vielen Fischen schmackhaft zu machen? Im folgenden ein paar praxisorientierte Kniffe für Ameisen-, Fisch,- Netzwerk-, Vogel-, Schwarm- oder Bewegungs-Campaignerinnen:

1. Be a good story – Sei eine gute Geschichte

Im Sommer 2003 tauchten in Wien Plakate auf, auf denen zu lesen war: „Solange Flüchtlinge auf der Straße stehen, müssen wir Bier trinken.“ Dazu das grantig blickende Konterfei einer älteren Dame in Bluse und grauer Weste. Das Gesicht gehörte Ute Bock. Eine gelernte Erzieherin, die gerade von der Stadt Wien als Leiterin des „Gesellenheimes Zohmanngasse“ abgesetzt worden war. Frau Bock hatte in ihrer Einrichtung ein paar dutzend Jugendliche aus Afrika untergebracht. Und zwar entgegen der ausdrücklichen Anordnung von Oben. Damals gab es in Österreich noch keine Grundversorgung für Flüchtlinge. Bund und Länder konnten sich bei den Kosten nicht über einen Verteilungsschlüssel einigen. Tausende Asylsuchende waren auf private Unterstützung angewiesen, da sie nicht in den staatlichen Einrichtungen oder bei den Hilfsorganisationen Unterschlupf fanden. Frau Bock wollte nicht verstehen, warum sie Flüchtlinge auf die Straße stellen sollte, wenn oben Zimmer leer standen.

Nach ihrem Rausschmiss mietete Frau Bock auf eigene Faust Wohnungen für die jungen Männer an. Die Kosten bestritt sie aus einer Beamtenpension und kleineren Zuwendungen aus ihrem weit verzweigten Bekanntenkreis. Die Sache lief gut, bald schon schickten Hilfsorganisationen Flüchtlinge zu Frau Bock. Innerhalb kurzer Zeit hatte sie 140 Personen untergebracht. Weit mehr als der Kontostand erlaubte. Doch inzwischen hatte sich der radikale Humanismus der Frau Bock in der Stadt herum gesprochen und Unterstützerinnen auf den Plan gerufen. Die Plakate, die plötzlich in Wien auftauchten, kündigten eine Solidaritätskampagne an, mit der das Wohnprojekt finanziell abgesichert und Frau Bocks Flüchtlingsarbeit populär wurde. 70 Wiener Lokale spendeten einen Sommer lang 10 Cent für jedes getrunkene Bier an das Flüchtlingsprojekt. Drei Monate lang traten in diesen Lokalen Musikgruppen, Kabarettistinnen und Autorinnen auf. Frau Bock wurde zu Talkshows eingeladen, landete auf Zeitungscovers und wurde mit ihrer trockenen Art zur wichtigen Botschafterin für Flüchtlingsanliegen des. Eine Biermarke brachte ein „Ute Bock“-Bier auf den Markt. Insgesamt konnten mit der Kampagne 100.000 Euro aufgebracht werden.

Schwarm-Campaignerinnen-Kniff Nr. 1: Will man mit einer Schwarmkampagne viele Fische für ein Anliegen gewinnen, müssen zunächst viele Fische vom Anliegen erfahren. Am einfachsten geht das, wenn man das Anliegen in eine interessante Geschichte packt. 

Ob eine Geschichte interessant ist, kann man testen. Ist sie so interessant, dass ich sie selbst gerne weiter erzähle? Und finden sie die Zuhörerinnen auch so interessant, dass sie sie weiter erzählen werden? Der Wurm muss dem Fisch schmecken, lautet eine Anglerinweisheit, die auch für Campaignerinnen gilt. Je besser die Geschichte funktioniert, desto mehr Fische werden sie weiter tragen und davon erfahren. Eine gute Kampagnen-Geschichte beantwortet außerdem die Frage, was jeder Fisch durch welche Handlung zum erreichen welches Zieles beitragen kann: „Trinke ein Bier in deinem Stammlokal und hol mit Frau Bock Flüchtlinge von der Straße.“ Diese Geschichte ist bereits eine relativ genaue Handlungsanleitung. Wenn jemand von dieser Kampagne hört, benötigt die Person nicht mehr viel weitere Information, um ins Handeln zu kommen. Wenn das formulierte Anliegen auf Resonanz stößt, ist die Schwelle zur Beteiligung gering. Das hat natürlich auch mit dem Kampagnen-Instrument des Biertrinkens zu tun. Und damit sind wir schon beim zweiten Kniff.

2. Be nice – Sei nett, mache die Beteiligung einfach

Mr. Roland lächelt charmant von seiner Website. Mr. Roland kann man zu sich nach Haus einladen. Er kommt zu Besuch und kocht etwas Feines. Mr. Roland ist ein guter Gesprächspartner. Er versteht es, seine Gastgeberinnen zu unterhalten. Und das alles kostenlos. Alles was Mr. Roland als Gegenleistung will, ist 20 Minuten Aufmerksamkeit. Da holt er zwei große Taschen aus dem Wagen, aus denen er Lebensmittelbehälter aus Polyethylen hervorzaubert – während seine Gastgeberinnen sich ans Dessert machen. Ende der 40 Jahre entwickelte Brownie Wise für die Firma Tupperware ein revolutionäres Vertriebssystem: Firmenfremde stellen ihre Wohnung für eine Verkaufspräsentation zur Verfügung und laden dazu Freundinnen und Bekannte ein. Sie erhalten dafür ein Gratisprodukt, Bonuspunkte oder eine Entlohnung. Das Konzept sieht vor, persönliche Beziehungen und Freundschaften zu nutzen, um neue Kundinnen zu gewinnen.

Schwarm-Campaignerinnen-Kniff Nr. 2: Die Beteiligung an Kampagnen kann erleichtert werden, wenn diese auf bestehende Beziehungen und Alltagshandlungen abstellen. 

Internet-Plattformen wie Facebook wissen, dass wir auf Empfehlungen von Freundinnen eher hören als auf die von Unbekannten. Deshalb zeigt Facebook an, wer von unseren Freundinnen ein beworbenes Produkt bereits geliked hat. Verhaltensweisen von Personen, denen wir Vertrauen, geben uns nicht nur Orientierung und erleichtern uns Entscheidungen. Entscheidungen im Freundeskreis fühlen wir uns in der Regel auch stärker verpflichtet, als Zusagen gegenüber Fremden. Der mit den drei besten Freundinnen geplante Urlaub ist schwieriger abzusagen, als der mit einer anonymen Reisegruppe. Eine anonyme Spendenzusage ist leichter zurück zu nehmen, als eine die auf dem Kampagnenblog angezeigt wird.

Die Einbeziehung von Alltagshandlungen in eine Kampagne zielt darauf ab, die Schwelle zur Beteiligung möglichst niedrig zu halten. Ein Bier für Flüchtlinge zu trinken findet leichter Unterstützerinnen als ein Protestfax an die Behörden zu richten. Wenn es gelingt, Dinge die Menschen ohnehin gerne tun, als Kampagnen-Instrument einzubauen, erleichtert dies den Fischen mit deinem Anliegen zu schwimmen. Ein weiteres Beispiel, das auf Alltagshandlungen und bestehende Beziehungen abzielt, ist das landesweite veranstalten von Homescreenings eines Anti-Kriegs-Films in den USA im Zuge des Irak-Kriegs.

3. Be nice to have – Mache dich verzichtbar.

Am 10. Oktober 2008 verstellten hunderte Sessel den Wiener Ballhausplatz. Im Bundeskanzleramt wurden eilig Vorhänge zugezogen. Fernsehkameras brachten sich in Stellung. Flüchtlingsorganisationen hatten den Tag des Bleiberechts erklärt und zur Bildung eines Sesselmeers auf dem Platz im politischen Zentrum Wiens aufgerufen. Unablässig strömten weitere Menschen herbei und stellten einen Sessel dazu. Aber nicht nur der Ballhausplatz platze aus allen Nähten. In den Landeshauptstädten und auch in einigen Bezirksstädten waren Menschen dem Aufruf gefolgt. Sie brachten einen Sessel und verbreiteten die Doppelbotschaft der Aktion. Vordergründig brachte das Sesselmeer zum Ausdruck, dass es genügend Platz in Österreich gibt. Doch die eigentliche Botschaft lautete: So vielen Menschen ist ein ordentliches Bleiberechtsgesetz ein so wichtiges Anliegen, dass sie bereit sind, einen Sessel durch ihre Stadt zu tragen.

Schwarm-Campaignerinnen-Kniff Nr. 3: Biete klar verständliche Beteiligungsmöglichkeiten an, die ohne dein Zutun genutzt werden können. 

Beim Sesselmeer wurden Interessierte aufgerufen, zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Sessel zu einem bestimmten Ort zu bringen, um für ein rechtsstaatliches Bleiberechtsgesetz einzutreten. Die Aktion war nahezu beliebig skalierbar: für die Logistik hätte es kaum einen Unterschied gemacht, ob 500, 5.000 oder 50.000 Sessel gebracht worden wären. Der Aufruf wurde in Zeitungsinseraten, über soziale Netzwerke und durch Pressearbeit verbreitet. Die Beteiligungsmöglichkeit war so klar konzipiert und dargestellt, dass niemand zusätzliche Anweisungen benötigte, um teilzunehmen. Die Organisatorinnen hatten sich verzichtbar gemacht und Sorge getragen, dass die Verfügbarkeit eigener Kapazitäten nicht zum Nadelöhr der Aktion werden konnte.

4. Be found – Sei einprägsam und mache dich leicht auffindbar.

Anfang der Nullerjahre häuften sich an Wiens Hauswänden rassistische Schmierereien. Kompetenzstreitigkeiten zwischen privaten Hauseigentümerinnen und der Stadt Wien führten dazu, dass die rechtsextremen Parolen oft monate- und jahrelang stehen blieben. In Verhandlungen mit der Stadt versuchten Antirassistinnen die Verantwortlichen mehrfach von der Handhabe in anderen europäischen Städten zu überzeugen. In Zürich oder Edinborough wird auf Kosten der öffentlichen Hand oder durch eine Versicherung rasch Abhilfe geboten. Doch die Stadtmütter redeten das Problem immer wieder klein. SOS Mitmensch entwickelte daher eine antirassistische Landkarte im Internet, um die tatsächliche Verbreitung des Problems sichtbar zu machen. Auf rassismusstreichen.at wurden Fotos von rassistischen Parolen veröffentlicht, die so genannte Rassismus-Paparazzi zuvor mit ihren Mobiltelefonen fotografiert und eingesandt hatten. Damals waren Smartphones noch kaum verbreitet und die Adressen mussten händisch eingetragen werden, doch bald schon war der Standort von über 1000 rechtsextremen oder rassistischen Beschmierungen verzeichnet. Niemand konnte mehr sagen, es handle sich um ein marginales Problem.

Hunderte strafrechtlich relevante Graffitis wurden zur Anzeige gebracht, die Organisation Zara urgierte die Entfernung bei den Hauseigentümerinnen. Auch die Urheber wurden offensichtlich abgeschreckt, neue Schmierereien anzubringen. Nach und nach verschwand ein Gutteil der Parolen aus dem Stadtbild.

Schwarm-Campaignerinnen-Kniff Nr. 4: Verwende sprechende Namen einheitlich und mache dezentrale Beiträge für die Kampagne zentral sichtbar. 

Sprechende Namen bezeichnen das Ziel oder die Methode der Kampagne. Besonders wirksam sind Titel, wenn daraus hervorgeht, was interessierte zur Durchsetzung welches Ziels beitragen können. Gerade, wenn man wenig Ressourcen hat, kann man diese Information schon in den Titel verpacken, um auch bei kurzer Aufmerksamkeit die wesentlichen Informationen anzubringen. In der Praxis gelingt es selten ansprechende Titel zu kreieren, die Ziel und Methode umfassen – dann hat das Ziel Priorität. Dabei ist etwas Kreativität durchaus erlaubt. „Stop xy“ oder „xy Jetzt“ sind sehr eingängig, wirken aber mitunter etwas abgegriffen. Sollte es nicht möglich sein, alles in einen Titel zu packen, werden diese Informationen in der Regel in einem Claim ausgedrückt. Ein Claim („Anspruch“) ist eine kurzer Satz, der Sinn und Zweck der Kampagne zum Ausdruck bringt. Bei der Kampagne „Bock auf Bier“ lautete dieser etwa „Solange Flüchtlinge auf der Strasse stehen, müssen wir Bier trinken.“ Für die Kulturreihe „Bock auf Kultur“ wurde er adaptiert in „Solange Flüchtline auf der Strasse stehen, müssen wir auftreten“. Wenn der Titel einmal steht, dann sollte er auch durchgängig verwendet werden. Je konsequenter Internet-Domain, Emailadressen, Plakat-Titel, Kampagnen-Titel und Logo-Sujet übereinstimmen, desto wirksamer ist die Kommunikation. Warum soll jemand, die beim Smalltalk mit Nachbarinnen von einer Kampagne erfährt, sich noch eine anders lautende Domain merken?

Damit eine Kampagne eine Selbstläuferin werden kann, muss die kritische Masse an Beteiligung erreicht werden. Ein paar Unentwegte finden sich immer, die sich mobilisieren lassen. Um die kritische Masse zu erreichen, müssen aber auch weniger entschlossene Fische zum mitschwimmen veranlasst werden. Deshalb ist wirksam, die Beteiligung an einer Kampagne sichtbar zu machen. Das kann Unentschlossene darin bestärken, sich auch zu beteiligen. Erstens sind Menschen soziale Wesen und orientieren sich am Verhalten anderer Menschen. Zweitens stehen die Chancen für Unterstützung bei Kampagnen höher, die glaubwürdig vermitteln können, dass das Engagement auch wirksam sein wird.

5. Be interested – Interessiere dich für deine Fische.

Im Vorfeld der Wiener Landtagswahlen 2010 mobilisierte die Initiative „Machen wir uns stark“ für eine große Kundgebung, um die Themen Bildung und Wohlstand in den wahlentscheidenden zwei Wochen vor dem Urnengang zu verstärken. Über eine Website wurden 3333 Menschen mobilisiert, die mit einem Beitrag von 15 Euro eine unabhängige Finanzierung der Kundgebung garantierten. Der Zulauf zur Kundgebung selbst war dann zwar überschaubar – doch es reichte aus, um in den Tageszeitungen ausführliche Schwerpunktberichte auszulösen und die Themenlage zu setzen.

Schwarm-Campaignerinnen-Kniff Nr. 5:  Informiere dich bei deinen Zielgruppen über ihre Anliegen.

„Machen wir uns stark“ wurde schon Monate vor der Kundgebung geplant. Durch regelmäßige Kommunikation lernten die Organisatorinnen die Anliegen und Motive der Unterstützerinnen kennen. So wurden die Unterstützerinnen beispielsweise zu einem Plakat-Workshop eingeladen, um Entwürfe für die Kundgebung zu gestalten und bei der Gelegenheit gleich auch die Anliegen und Motive der Mitstreiterinnen kennen zu lernen. Auch das Bühnenprogramm wurde mit Hilfe der Crowd zusammen gestellt. Alle Interessierten waren aufgerufen, Rednerinnen zu bestimmten Themen zu nominieren. Wenn die Organisatorinnen auch noch davor zurück schreckten, über das Programm abstimmen zu lassen, so fanden doch einige Nominierungen Berücksichtigung.

Menschen sind schnell bereit, etwas zu geben. Doch um mehr zu bekommen, als den raschen Klick unter eine Online-Petition muss man auch etwas bieten. Das kann die Aussicht auf Veränderung sein, eine interessante Geschichte, Möglichkeiten zur Einflussnahme oder einfach Anerkennung. Die meisten Menschen wollen bei dem was sie tun auch Spaß haben. Es lohnt sich genau hin zu hören und ein entsprechendes Angebot zu machen.

Das ganze Buch als pdf: Was allen gehört Commons – Neue Perspektiven in der Armutsbekämpfung. (CC BY-NC-SA 3.0 Armutskonferenz)

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